im silent green war ich vor gut zehn jahren zur eröffnung des krake-festivals, als anika oben in der kuppelhalle gespielt hat. ryoji ikeda ist mir von der ersten „strom“-ausgabe in der philharmonie anfang 2020 noch in bester erinnerung. das ganze findet in der betonhalle statt, was mich auf musik und räumlichkeiten zugleich gespannt sein lässt.
ryoji ikeda presents ultratronics
ryoji ikeda
pyur
ab 20 uhr
tickets sind bereits ausverkauft
nachbetrachtung
das wird eher eine abhandlung über die räumlichkeiten. daher widme ich mich zuerst dem musikalischen.
hat in der dramaturgie und zusammensetzung schon gepasst. pyur war zuvor ein für mich unbeschriebenes blatt (obwohl sie auf hotflush und subtext veröffentlicht hat), wird leider nicht mein fall. ähnlicher ansatz wie bei barker, indem sie filter und lfos den rhythmus diktieren lässt. das ganze etwas opulenter, wo ich vielmehr mit reduktion kann. nicht ihr problem – sie war im vorprogramm sehr gut besetzt.
bei ryoji ikeda hätte ich mir von vornherein mal vergegenwärtigen können, dass „ultratronics“ seit zwei jahren auf dem markt ist. das album ist für seine verhältnisse erstaunlich melodisch und zugänglich. war sein set zum strom-festival noch von hohen tönen sowie schwarz/weiß-visuals geprägt, wurden letztere zum schluss farbig – und das gilt für die klangpalette über das gesamte set. steht ihm absolut nicht schlecht und ist etwas leichter verdaulich für diejenigen, die mit seiner discographie noch nicht so vertraut sind. im gegensatz zu manch anderen live-sets keine überblendungen zwischen den tracks, sondern pausen, was auch die tempiwechsel erleichterte.
in so einer umgebung also gerne wieder – erst recht, weil er so selten im lande ist.
und damit zu den räumlichkeiten: mensch merkt, dass die betonhalle als veranstaltungsort noch ziemlich frisch ist – fast schon steril sind die räumlichkeiten. keine tags an den wänden, höchstens aufkleber in den klos.
mir gefällt das minimalistische in der halle an sich, und der sound ist sehr gut, sobald mensch innerhalb des stereo-dreiecks (also zwischen den beiden line-arrays) steht. war bei uns am front-of-house, da war’s ein genuss. auch ein pluspunkt, da noch nicht so bekannt: die kleineren toiletten hinten links. so kann mensch sich den weg in die lounge sparen.
diese lounge befindet sich oberhalb der halle und ist mit glasscheiben abgetrennt, so dass es eine aussicht in die halle gibt. snacks und eine kleine bar finden sich dort ebenfalls. und auf dem weg in die halle die größeren toiletten.
mobile bar im durchgang von der lounge zur halle, mit projektionen an den wänden – das ging bei dem andrang noch klar. aber wenn dort mal personelle unterbesetzung herrscht und sich die leute in die reihe stellen müssen, wird’s für diejenigen schwierig, die nur zur halle durchgehen möchten. es gäbe eine abkürzung: vom podest auf höhe der lounge die treppen zur halle hinunter. jedoch ist das der bereich, der für mobilitätseingeschränkte besucher*innen gedacht ist und unten von einer security beaufsichtigt wird. kann mir interessantere jobs vorstellen als den leuten alle paar sekunden zu verstehen zu geben, dass sie an der stelle nicht hochgehen können.
das linke viertel der halle ist für meine begriffe verschenkter platz. am hinteren ende sind gut 10 meter für den backstage reserviert, wovor (richtig geraten) wieder ein security-mensch steht. dann gibt’s ca. 20 meter leere und am vorderen ende den eingang zu den toiletten. akustisch ist mensch dort außerhalb des line-arrays, es klingt also auch nicht mehr so klasse.
mir fällt auch nicht ein, wie mensch dies am elegantesten lösen könnte. eine bar am linken ende würde zu dem problem führen, das im gretchen gang und gäbe ist: publikumsströme nach links und zurück. bänke bzw. andere sitzgelegenheiten wären mit oder ohne notfall potentielle stolperfallen. um den viereckigen charakter der halle nicht zu gefährden, fiele mir nur ein, an der hinteren wand (also dem bühnenende) noch eine zwischenwand einzuziehen, die als backstage dienen kann. klar, geht auf kosten potentieller besucher*innenzahlen und damit an die wirtschaftlichkeit. das podest für in welcher form auch immer eingeschränkte personen könnte mit rampe am rechten rand platz finden.
ziemlich chaotisch: die garderobe. und nein, das personal ist nicht gemeint. die platzierung am ende der rampe nach unten ist nicht verkehrt. aber „improvisation“ ist noch schmeichelhaft, wenn sich die dort arbeitenden mit ganz normalen garderobenständern behelfen müssen. für rucksäcke und taschen gibt’s keine separaten ablagemöglichkeiten außer den boden.
theoretisch ist die garderobe zu zwei seiten offen (nach vorne sowie links), praktisch besteht keine möglichkeit, die leute auf der zu schmalen linken seite zu bedienen. die absperrung besteht aus den von flughäfen bekannten gurten, und gerade beim durcheinander nach dem auftritt wäre die security überfordert gewesen, wenn sich ein bis zwei dutzend leute dort zutritt verschafft hätten. davon abgesehen fiel für ein paar minuten auch das licht aus, so dass das personal sich mit den smartphone-taschenlampen behelfen musste.
es besteht also noch einiges an optimierungsbedarf. akustisch gibt es nichts zu meckern und das ambiente ist in seiner sterilität wahrscheinlich so gewollt. aber bei der raumaufteilung sollte sich echt noch was tun. das programm ist vielversprechend – zumindest schaue ich mittlerweile auch sporadisch mal auf deren website vorbei, ob es etwas nach meinem gusto gibt.
Schlagwort: ryoji ikeda
[berlin / 08.02.2020] philharmonie berlin: strom – festival für elektronische musik
zeitgenössische komponisten sind für die philharmonie nichts neues: die werke von steve reich oder philip glass waren bereits in den heiligen hallen zu hören. neu ist jedoch, dass sie sich für die elektronik öffnen. dies geschieht am zweiten februar-wochenende mit einem angebot, das bei clubbern und veteranen-nerds gleichermaßen für entzückung sorgen dürfte. bei mir wird es aus nachvollziehbaren fanboy-gründen der samstag.
line-up
20h00 – 21h00 / foyer: søs gunver ryberg live
21h15 – 22h15 / großer saal: cristian vogel – agnete and the merman live
22h15 – 23h45 / foyer: deena abdelwahed
00h00 – 00h45 / großer saal: ryoji ikeda live
00h45 – 02h45 / foyer: nina kraviz
hermann-wolff-saal: robert henke – phosphor installation
foyer: marco c visuals
eintritt
13 bis 52 euro (es gibt aktuell nur restkarten, aber die sind dafür günstig)
nachbetrachtung
„neuauflage. unbedingt!“ – jedenfalls dachte ich mir das währenddessen, beim herausgehen und auch jetzt noch (das fazit schreibe ich am 6. april 2020).
zwar habe ich am freitag verpasst, wie die leute zu kruder & dorfmeister im großen saal getanzt haben. bei ryoji ikeda wäre das für mutige auch gegangen. aber da war das audiovisuelle erlebnis einfach zu stark, so dass die netzhaut mit den schwarz-weißen visuals (ihrerseits eine perfekte abbildung des in seine micro-bestandteile zerlegten sounds) schon genug beschäftigt war. die atonalität tat ihr übriges für das trommelfell bis kurz vor schluss. für mich wahnsinnig gut und noch vor cristian vogel, der allerdings den tänzer aus „agnete and the merman“ dabei hatte. während seines sets musste ich lernen, was „billige plätze“ bedeutete. hatte ich den hinweis auf fehlende sicht bei der buchung noch mit dem wissen um die räumlichkeiten der philharmonie belächelt, fand ich mich hinter der riesen led-wand sitzend eines besseren belehrt.
es kam aber entgegen, dass große teile der sitzreihen im saal gegenüber einfach nicht besetzt waren und die tickets auch nicht stark kontrolliert worden sind. mit anderen worten: ziemlich freie platzwahl und damit in der zweiten hälfte bei cristian vogel auch freie sicht.
„phosphor“ kam gänzlich ohne sound aus. hab trotzdem erst den externen hinweis gebraucht, dass es sich nicht um mehrere laser handelt, die dort spuren hinterlassen, sondern um einen einzigen, der zwischen den einzelnen pfaden schnell hin und her sprang. den strahl an sich bekam mensch auch nicht zu gesicht, von daher war das eine schlüssige erklärung. den saal können sie beim nächsten mal auch gerne wieder als chillout-area verwenden, dann evtl. mit visuals an den wänden oder der decke und mit sitzsäcken in der mitte.
damit bin ich beim einzigen kritikpunkt: dem foyer als dancefloor. das klappte bei deena abdelwahed mit ihren vertrackten rhythmen (den positiven eindruck von der nachtdigital hat sie musikalisch bestätigt) oder dem eher drone-artigen intro von søs gunver ryberg noch am besten. aber für einen veritablen rave war das irgendwie nicht der richtige ort. zu hell die hintergrundbeleuchtung, zu schwammig der sound außerhalb der tanzfläche (die keine richtige war) zu sehr hauptsammelpunkt für alle zwischen den einzelnen konzerten im saal. damit wurde vielen nicht wirklich klar, ob mensch jetzt tanzen, sich unterhalten oder mit dem drink herumstehen sollte. insgesamt war es jedoch schön anzusehen, wie sich das techno-publikum mit den dauerkarteninhaber*innen der philharmonie mischte, die das alles teilweise durchaus interessiert zur kenntnis nahmen. beim personal war die zweiteilung sogar noch deutlicher, wobei der großteil absolut aufgeschlossen, entgegenkommend und freundlich war.
die motivation, die eher kopflastigen dinge aus dem saal mit der tanzmusik im foyer zu kontrastieren, kann ich komplett nachvollziehen. dramaturgisch war es auch goldrichtig gedacht, nina kraviz (die mit schön trockenem material aus der profan-richtung anfing, sich dann aber schnell zu acid vorarbeitete) an den schluss zu setzen. es fühlte sich für mich aber trotzdem befremdlich an, dort wie im club loszulassen. so war das eher eine (laue) demonstration dessen, was die stammgäste der philharmonie von den bildern der loveparade oder den erzählungen der (enkel-)kinder so kennen. gleichzeitig ist mir auch klar, dass mensch sich mit schweren strobo-geschützen bei erstausgaben in so einem renommierten rahmen erstmal lieber zurückhält.
ist aber jammern auf hohem niveau, ohne dass ich ein patentrezept hätte, wie es im foyer besser laufen könnte. das programm im saal sollte definitiv ausgebaut werden sowie auch weiterhin durchaus tanzbare musik und gerne auch dj-sets enthalten. sets wie von cristian vogel hätten auch durchaus im foyer funktioniert, was wiederum abstriche in der akustik bedeutet hätte. eventuell stieß mir auch der rein auf die acts focussierte aufbau etwas auf, so dass vielen keine andere wahl blieb, als in richtung bühne mit den visuals zu starren.
als idee(n): eventuell mehrpunktbeschallung anstelle zweier riesiger, die bühne flankierende funktion-one-türme. subwoofer an wenigstens vier orten im raum verteilt. tops für die tanzfläche lauter eingepegelt als für die seiten. lieber den gesamten raum bei den visuals einbeziehen, da dürfte mit mapping einiges gehen. die acts auf verschiedenen im raum verteilten bühnen positionieren. klare visuelle trennung der bereiche, so dass klar wird, dass hier gerne an drinks genippt oder von den canapés gekostet werden darf und dort die musik im vordergrund steht (im klartext: die beleuchtung im barbereich heller, den rest höchstens durch die visuals).
ich wäre auch fein damit, wenn die kuration den anspruch lockert, die erfahrung mit tanzorientierter clubmusik in der philharmonie nachbilden zu wollen. der großteil des publikums dürfte solche veranstaltungen eh als vorprogramm verstehen, um danach im club weiterzumachen. da kann mensch sich auch genauso gut darauf verstehen, abseitige strömungen als anschauungsbeispiele dafür stehen zu lassen, dass techno mehr als glitzer, sonnenbrille und 4/4-kick bedeutet.
soll alles aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das eine für mich absolut gelungene premiere war, die hoffentlich auch das gusto der leitung des hohen hauses gefunden hat. sollte das der fall sein, fände ich halbjährliche ausgaben fantastisch.