da der text ein plädoyer und damit ziemlich lang geworden ist, kommt der link zum ausschlaggebenden und höchst relevanten interview zuerst. dessen kernpunkte käue ich verlauf eh wieder:
„club culture is being reborn“
es ist kein sonderlich großes geheimnis, dass ich nd gegenüber aus gründen voreingenommen bin. vor wochen hatte er bei instagram einen ausschnitt des interviews hochgeladen und ich mir daher die print-ausgabe gekauft, die auch neben seiner weitere relevante perspektiven zu bieten hat. außerdem kann es für meine begriffe nicht schaden, den verlegern zu signalisieren, dass sich print-ausgaben lohnen sollen.
ja sicher (und gerne nochmal): mir fehlt das ausgehen als ausgleich zum alltag oder zum (re)kalibrieren diverser befindlichkeiten immer noch massiv. zwar war die erfahrung am vorletzten sonntag im berghain-garten eine überaus positive (schön euphorisches publikum, was einen vorgeschmack auf das liefert, was uns blühen könnte, sobald ein impfstoff bereit steht) und auch der oxi garten (ex-polygon) tritt als neuzugang in der clubszene mit fast schon zu ambitionierten line-ups in den letzten wochenenden mit tanz unter freiem himmel auf den plan. das alles sind für mich aber eher notrationen, bis es wieder richtig weitergehen kann.
andererseits ist auch mir als clubgänger und erst recht als dj mit sinkender anzahl an bookings in den letzten fünf bis acht jahren schon aufgefallen, dass das clubgeschehen in der berliner filterblase und auch anderswo (gerade auf festivals) sehr vom rennen um die vordersten plätze geprägt war. als clubgänger habe ich gerne daran partizipiert: tolle line-ups, bei denen nicht nur ein, sondern gar zwei bis drei namen pro abend die kinnlade runterfallen ließen. dazu noch gelegentliche privilegien für gästeliste und schon fällt das mit der konsumhaltung leicht. die kehrseite der medaille war hier jedoch schon häufiger nachzulesen: gerade der sonntagabend im berghain geriet in den vergangenen drei, vier jahren zur engtanzparty, bei der ich aus kundensicht gerne nur die beobachterposition einnahm, weil ich nicht bei der verteilung um die quadratzentimeter dabei sein wollte. das hat sich mit einführung des wiedereintritts letzten september nur minimal gebessert, wobei ich mir seit geraumer zeit auch die termine ausgesucht hatte, die zu weniger überfüllung führten (oder der andrang ging im letzten halben jahr vor covid-19 allgemein zurück). mein letzter besuch im februar diesen jahres war dafür jedenfalls ein positives beispiel, mag aber auch schon den vorboten der pandemie geschuldet sein.
als nur periphär im booking involvierter (den teil übernehmen bei der bewegungsfreiheit andere mit weniger sorge vor zurückweisungen) kann ich nur zu gut nachvollziehen, weshalb nd bereits vor jahren auf die bremse (bzw. als booker der panorama bar vom amt zurück) getreten ist. als ob das rennen um die besten plätze auf line-ups auf clubs und festivals nicht genug wäre (stichwort „selbstmarketing“ oder „ellenbogenmentalität“ – das muss mensch wollen), bekommen booker*innen es mit agenturen und/oder djs/live-acts zu tun, die zum gelingen eines line-ups mittlerweile tragend sind, sich dieser rolle nur zu bewusst sind und dies für eine grassierende inflation (also genau das ausleben dieser mentalität) nutzen. der markt hat also auch vor covid-19 in der szene bereits einiges geregelt.
wer noch keinen namen hat, macht sich am besten einen, indem ein eigenes label gegründet wird (um im idealfall selbst produzierte und auch noch gute tracks an die damen und herren djs zu bringen) sowie soziale medien an allen ecken und enden bespielt und schlüsselpersonen so lange behelligt werden, dass sich zumindest die theoretischen chancen erhöhen, einen platz an der sonne (also auf line-ups in namhafteren clubs) zu sichern.
wer einen namen und einen platz in einer booking-agentur hat, kann sich eigentlich glücklich schätzen: drei, vier anfragen oder gar gigs pro wochenende. unterkünfte, tolles essen und gratismeilen bei fluglinien (business-class? ja bitte!) inklusive. die kehrseite der medaille (die nd im interview glücklicherweise auch benennt): als headliner*in bleibt da nicht mehr viel zeit für das inhaltliche. stattdessen: verwendung der eingespielten rezeptur. manche im publikum nehmen das unkritisch hin (oder erwarten dies sogar) und die musik-nerds stehen am rand und bedauern, weshalb nicht mehr drin ist.
das mache ich den am zirkus beteiligten djs/live-acts nur bedingt zum vorwurf: wer die möglichkeit hat, sich dadurch den ruhestand abzusichern, soll das tun. die spirale fand ich jedoch in den letzten jahren in mehrfacher hinsicht ungesund:
erstens lässt sich der marathon aus jetlag, hotelzimmern, drei, vier sets pro wochenenden an jeweils verschiedenen orten mit entsprechenden hilfsmitteln zwar ganz gut aufrecht erhalten. auf dauer geht das jedoch an die körperliche substanz. unter der woche muss entweder die kondition wiederhergestellt, weitere tracks produziert, promos angehört, plattenläden (virtuelle oder physische) durchforstet werden. auch wenn das anfangs nach einem wahrgewordenen traum aussieht: alleine die flut an veröffentlichungen (häufig promos) und damit das djing ist ein vollzeitjob. will mensch das gründlich und mit der ambition erledigen, nicht stets das gleiche set spielen zu wollen, lässt sich das (mit den erwähnten stellschrauben zum erlangen von gigs) eigentlich nur bewerkstelligen, wenn schlaf und privatleben weitestgehend gestrichen werden. es wäre an der stelle (und vor allem zu diesem zeitpunkt, bei dem die szene zwangsläufig innehält) überaus interessant, namhaften djs die frage zu stellen, inwieweit sie in den letzten jahren anzeichen eines burn-outs bei sich bemerkt haben.
zweitens wurde damit eine ungesunde erwartungshaltung beim publikum gefördert, wodurch das clubgeschehen zu einer kleineren kopie von festivals geworden ist. ich habe die erste welle mitte der 1990er-jahre zwar nur als schüler mit der durch low spirit und frontpage getriebenen vermarktung mitbekommen und diese auch weitaus unkritischer als heute als einstieg genommen, sehe aber durchaus parallelen zu damals – mit dem unterschied, dass diese bewegung noch globaler geworden ist. dabei finde ich es einerseits toll, dass techno nicht mehr das nischendasein wie damals führt, für das mensch sich rechtfertigen muss. gerade im bereich der relevanz der clubkultur für attraktive(re) städte und damit auch deren planung sowie der präventiven drogenaufklärungsarbeit ist seither einiges passiert. zumindest haben die aus der bewegung stammenden stimmen sich gehör verschafft – was damit geschieht, steht auf einem anderen blatt. problematisch wird es jedoch, die clubkultur vorrangig als wirtschaftsfaktor zu begreifen: auf der einen seite begrüßenswert als hebel zur erhaltung der orte für clubs (am beispiel berlins: gerade mit nähe zum s-bahn-ring), keine frage. auf der anderen seite sind genau diese clubs am zuge, ebenso wirtschaftlich zu arbeiten. line-ups sind hierbei mittel und zweck, entweder weiterhin als etablierter name im zirkus mitzumischen oder erst recht, wenn sich ein club oder eine partyreihe diesen erst verdienen muss.
beides führt zum auf-nummer-sicher-gehen und damit zur verwässerung. als booker*in möchten line-ups einerseits gut kuratiert, der club andererseits auch gut gefüllt sein. als dj/live-act möchte mensch gerne aus dem vollen schöpfen, bekommt dies jedoch aufgrund von zeit- und erwartungsdruck nicht so hin. das erklärt, warum der kreis der großen namen, die sich in berliner clubs wirklich was getraut hätten, ein ziemlich kleiner ist.
paradoxerweise sägen clubs oder veranstalter*innen damit am ast, der zu ihrem ruf oder erfolg beigetragen hat. es ist vielleicht etwas viel verlangt, das wilde, archaische, experimentielle aufbruchsgefühl der anfangsjahre wiederherstellen zu wollen. dafür ist der stil zu etabliert und die musikalischen revolutionen oder erweckungsmomente auf der tanzfläche mittlerweile zu rar. das ist aber auch normal und irgendwie in ordnung so, wenn mensch das mehr als 20 jahre lang aktiv mitverfolgt und -erlebt. mich stört halt (und da kommt auch das gekränkte dj-ego mit bewusstsein des eigenen geschmacks durch) massiv, dass diese spirale den ursprünglichen gedanken, anders als die etablierten stile sein und neue musikalische horizonte erschließen zu wollen, ordentlich verwässert hat. anstelle neue musik oder ungeahnte mischungen vermeintlich unvereinbarer stile willkommen zu heißen, ähnelt das leider ziemlich dem, was sich bei rock-konzerten oder etablierten festivals beobachten lässt. ausnahmen bestätigen hier zwar gerne die regel (die freitage im berghain, den verzicht der staub auf line-up-ankündigungen mit offenem musikalischen konzept oder reihen wie mother’s finest, version, warning, reef kann ich nicht häufig genug loben), aber die pandemie hat sehr deutlich gemacht, dass der weg des geringsten widerstandes mit einem hohen preis versehen ist.
insofern teile ich die hoffnung von nd voll und ganz, dass sich clubs ihrer rolle als geschmacksinstitutionen wieder bewusster werden. das berghain hat sich dabei von anfang an sehr gut positioniert, indem auf die residents als rückgrat gesetzt worden ist. es wäre schön, wenn clubs sich fortan weniger auf große namen konzentrieren und das dafür gewonnene geld in die taschen der residents oder lokalen musikanten fließt, die als regelmäßig in ihrem stammclub (oder außerhalb) feiern gehende und auch auflegende / produzierende musiker große mühe und zeit investieren, den club sowie dessen publikum aus dem effeff kennenzulernen und damit das wissen erlangen, wie die persönliche note durch hier und da eingestreute gimmicks im set gesetzt werden kann. dabei helfen weniger und dafür ausgesuchtere gigs, damit mehr zeit zum wühlen in mehr als 30 jahren elektronischer tanzmusikgeschichte bleibt.
alles in allem wünsche ich mir: bitte weniger festgefahrene erwartungshaltungen und ergebnisse. bitte weniger schielen auf das maximum an gage oder reichweite. kondition bzw. körperliche ressourcen sind endlich und auch wenn es den persönlichen narzissmus schmerzt: es gibt auch andere mit ähnlich gutem geschmack, von denen sich lernen lässt und die das mit dem erzählen von geschichten im set vielleicht sogar besser können als mensch selbst. schlussendlich sollte musik der gemeinsame nenner sein, der kein wettstreit, sondern vielmehr inspiration sein sollte (zugegeben: bei dieser lektion bin auch noch lange nicht am ende).
ich befürchte zwar, dass wir nach dem ende der pandemie schneller wieder dort landen als es den musikliebhaber*innen passt, aber die letzten ein bis zwei jahre wiesen wieder in die richtung, dass auch an normalen sonntagen im berghain mehr vielfalt geht als trockene kicks mit reverb. wenngleich clubs rentabel sein müssen: auf absehbare zeit wird das vorgängerniveau mit der hälfte des publikums aus dem easyjet-flieger nicht erreicht werden können. es wird also keine andere wahl bleiben, als dass bei den line-ups auf das budget geachtet werden muss, wenn das publikum sich (gerade in der anfangszeit) eher aus berliner*innen rekrutiert. die wiederum könnten noch am ehesten die kenntnisse über fähige resident- oder lokale djs besitzen und werden sich hoffentlich längere zeit der tatsache bewusst sein, dass die clubkultur nicht als selbstverständlich hingenommen werden sollte.
in kombination dazu wünsche ich mir mehr geschichtsbewusstsein. da mache ich mir bei den älteren (40+) keine sorgen, weil die es sind, die hier die perfekten rahmenbedingungen vorfinden, um weiterhin leidenschaftlich in clubs gehen zu können, ohne dass wegen des alters schräg geschaut wird. im gegenteil habe ich sogar den eindruck, dass die jüngeren mittlerweile sehr gerne von diesem erfahrungsschatz profitieren. auch da herrscht ohne zweifel offenheit.
daher als anregung (an alle alterskohorten oder die szeneaffinen): bitte nehmt diesen neustart als gelegenheit, eure erwartungshaltungen zu hinterfragen oder sie bei anderen zu benennen. zieht die unkritischeren oder engstirnigen unter euch mit. zeigt ihnen auf, auf welchem fundament sich die clubwelt gründet und dass das konsumieren des erwartbaren nur eine option unter vielen ist. vertraut den clubs und djs/residents als geschmacksträger*innen. erwartet lieber überraschungen. lasst djs/live-acts die zeit, sets zu entwickeln und dabei auch mal daneben zu liegen.
kurzum: verlasst auch mal ausgetretene pfade und gesteht jeder*m (und damit auch euch selbst) zu, menschlich und damit fehlbar zu sein. das ist zur kalibrierung gar nicht mal schlecht, damit die tollen abende / tage auch als solche hervorstechen und nicht immer wieder auf’s neue reproduziert werden müssen.