ich stelle gerade fest, dass die nachlese für 2022 auch noch aussteht, jedoch ist die für dieses jahr dringlicher. allem vorangestellt: es stand bereits am frühen samstagmorgen auf dem rückweg vom festival- zum campinggelände für mich fest, dass ich eine auszeit von der fusion brauche. wo in den vorjahren am montag bei der abreise bei mir stets das gefühl zu spüren war, wieder zurückzuwollen, war es in diesem jahr vielmehr die offensichtliche schieflage an einigen stellen, was im demonstrationsaufruf und einer parallelen seite zur sammlung der texte gipfelte.
diese schieflage ist mittlerweile auch medial aufgegriffen worden* und wird hoffentlich den anstoß zu internen diskussionen geben. insofern ist vieles von dem, was ich hier wiedergebe, nichts neues. es soll vielmehr erstmal meine faktenorientierte darstellung sein, daher starte ich mit der anreise und den acts.
es folgen dann die für mich positiven aspekte, gefolgt von den negativen, meine gründe für’s fernbleiben und zum schluss ein paar mehr oder minder (eher minder) realistische wünsche, inwiefern die besinnung auf mehr übersicht auch positive auswirkungen auf interna haben kann.
anreise / bands / acts
anreise: strenggenommen war sie sogar schon dienstagabend, um mittwochfrüh ohne stress auf das ruhecamping zu kommen. dank camper meines stammbegleiters (grüße und dank!) ging das in rechlin problemlos. vorbote auf das kommende war die bereits mittwochfrüh um 7:30 uhr vorhandene, bis zur botschaft reichende autoschlange. also mal eben 4,5 km. die gesamtlänge bis zur autobahn deutlich länger, so dass manche bis zu vier stunden darin verbrachten.
dennoch um 9:00 uhr auf dem gelände, dabei feststellen, dass das ruhecamp schon fast zur hälfte belegt ist, leute mit eigenem absperrband stellenweise gefühlte 100 qm fläche für nachzügler*innen freihalten und auch einige supporter*innen dabei waren. den quasi-wunschplatz bekamen wir dennoch, das wäre jedoch ab mittag bereits unmöglich gewesen. platz freigehalten haben auch wir, jedoch nicht in den ausmaßen (für fünf zelte plus tarp). war mit der grund, weshalb ich es erst mittwochabend auf das gelände geschafft habe.
zu den acts, erstmal in kurzform: reinfälle gab es für mich nicht.
höhepunkte:
eher nicht elektronisch, weil’s für mich eher eine punk-fusion war: alarmsignal, team scheisse, the notwist, rauchen, lambrini girls, dazu noch die performances in den zelten auf der insel (collectif sous le manteau, haa collective) – und ja: auch die beatsteaks.
elektronisch: muovipussi, sterac & colin benders (überraschenderweise), marie midori, der subardo im allgemeinen (und dort im besonderen luma lake, bassface sascha und fracture).
in langform, chronologisch, optional zu lesen.
zeigen
positives
immer und immer wieder: der technische standard. beim sound müsste ich jetzt überlegen, wo er mal nicht gestimmt hätte. sicher gab’s tote punkte und delay an der turmbühne, aber hinten mittig war’s eine sehr runde sache, die zumal nicht bis weit auf den zeltplatz hinter den essensständen ausstrahlte.
auch wie immer: die dinge am rande, allem voran die installationen am fêr à coudre neben der landebahn. ausgediente videobänder in flüssigkeit einzulegen, diese flüssigkeit einzufärben und in rohre zu packen – da wurden erinnerungen an „alien“ wach.
der zauberwald zwischen tubebox und querfeld ist etwas neugestaltet, der stoner garden zwischen firespace und trancefloor ebenfalls.
generell kommt mir der bereich zwischen firespace und sonnendeck etwas heller vor als früher, was auch sicher mit der drehung sowie verlegung des roten platzes zu tun hat. dort hoffe ich, dass die sehr markante und nun demontierte bar in ähnlicher form wiederaufersteht.
die essensstände habe ich nicht sonderlich häufig in anspruch genommen, aber die elfik-pizza neben der turmbühne war verlässlich gut und die wartezeit kurz. gleiches gilt für die nice fries.
da das bewusstsein auch in die gesellschaft einsickert und das publikum zumindest in berliner clubs freizügig ist: die sichtbarkeit von queers und kinkstern steigt auch in lärz. sehr gut so.
die in der timetable-app sehr prominent platzierte nachricht, dass auf den tanzflächen keine fotos gemacht werden sollen, fand zwar bei nicht allen resonanz. aber jedoch so viel, dass es zumindest mir so vorkam, als ob smartphone-kameras weitaus weniger im einsatz waren.
auch in puncto selbsterkenntnis brachte dies etwas: war meine nikon noch zeitweise begleiter in den letzten jahren (ja, auch am rande der tanzfläche), blieb sie dieses jahr zuhause. und auch die anzahl an fotos auf meinem smartphone lässt sich auf fünf dutzend eingrenzen (bei dingen wie dem lasertunnel am rande der turmbühne konnte ich bspw. nicht widerstehen).
siebdruck gibt’s an vielen ecken, nicht nur im workshop-hangar, wobei es dort am meisten laune macht.
ausnahmslos nettes personal, was bei den vorgebrachten kritikpunkten umso mehr wundert.
den sanitären standard haben sie über die jahre wirklich stark verbessert. dixis sind tatsächlich nur noch randerscheinung und werden dort aufgestellt, wo für eine klocrew kein platz ist. stattdessen kompoletten oder flugzeugtoiletten, die zumindest im ruhecamping immer in einem richtig guten zustand waren. dickes dankeschön und kompliment dafür. hält wildpinkler trotzdem nicht ab, auf dem festivalgelände vor lauter ungeduld einfach in die büsche zu gehen. dafür kann die fusion nichts – es hätte nicht mal viel guten willen gebraucht, sich auf die suche nach der nächsten rinne zu machen, die für die herren der schöpfung auf dem festivalgelände unter garantie weniger als fünf minuten vom aktuellen standort entfernt waren.
die anzahl an flinta-rinnen wurde ausgeweitet. es könnten dennoch immer noch mehr sein, so dass frau nicht weiter laufen muss als die herren. die duschen habe ich nicht in anspruch genommen, stattdessen den kanal am westlichen ende des ruhe-campings.
der palapa-moshpit (getestet bei team scheisse und den beatsteaks) zählt mit zu dem fairsten, was ich in solchen kontexten bislang erlebt habe.
nach wie vor die stilistische mischung im programm einer bühne. trancefloor bleibt trancefloor und die dramaturgie auf der turmbühne auch vorhersehbar. beim rest kann mensch sich nach wie vor überraschen lassen.
negatives
beides eher platitüden, wofür die fusion nun echt nichts kann: das wetter ist eine gnaden-4. zwar war der regen am freitag und samstag gut dafür, dass das gelände nicht verstaubt ist und auch 30 grad im schatten müssen nicht sein. aber dennoch lockt die sonne schon eher aus dem camp – erst recht, wenn es um wichtige anlässe wie die demonstration am samstagabend um 18 uhr geht.
auch das rücksichtslose verhalten des publikums an bühnen, wo gerade elektronische musik läuft (also sich in gruppen von wenigstens fünf leuten durch übervolle tanzflächen zu schieben und erstmal herumstehenderweise beraten, wie weiter verfahren werden soll) und der fokus auf selbstdarstellung ist etwas, das die schieflage widerspiegelt, die sich durch techno als neuem (oder wieder) mainstream zum feiern ergeben hat. da ist eher die selbstregulation der szene gefragt, die fusion bildet das lediglich im größeren festivalkontext ab. oder befeuert diese anspruchshaltung, womit ich beim eigentlichen thema wäre.
weshalb demnächst ohne mich?
als jemand, der stets als gast zugegen war, lediglich einmal eine schicht für das ticket gearbeitet hat und sich sonst auf erzählungen aus dem freund*innenkreis stützen kann, habe ich beileibe nicht den allumfassenden blick. es ist zugegebenerweise eine privilegierte position, einfach „nur“ für das ticket zu zahlen und zu erwarten, urlaub vom funktional geprägten arbeitsalltag zu haben. jedoch machte sich bereits vor dem aufbruch nach lärz ein leicht flaues gefühl breit, das sich im laufe der tage und durch diverse einträge im fusion-forum auch im nachhinein bestätigt hat. ich werde trotzdem versuchen, nicht nur die schwachpunkte zu nennen, sondern auch konstruktive vorschläge (meine wunschvorstellung kommt zum schluss) einstreuen.
die fusion hat begehrlichkeiten geweckt. und damit meine ich nicht die offensichtliche versuchte polizeiliche einflussnahme anno 2019, deren abwehr für mich immer noch als sternstunde des zusammenspiels zwischen kulturkosmos, presse sowie öffentlichkeitsarbeit zählt.
es ist vielmehr das alleinstellungsmerkmal in der hiesigen festivallandschaft, wonach sie ohne werbung und sponsoring durch mund-zu-mund-propaganda einen mythos erschaffen haben, der mehr und mehr und dann zu viele leute (2012) anzog. so sehr ich die kontroverse um den zaun als ende des hippiesken traums nachvollziehen kann: er war leider nötig.
in den folgejahren kam jedoch das wachstum durch die hintertür. auch die pause zur überarbeitung des konzepts (2017) wurde nicht wirklich genutzt. stattdessen: mehr installationen, mehr bühnen (extravaganza, haupt- und tubetresen nun offizielle bestandteile des programms, palapabar, bar am roten platz), aufwändige renovierung vorhandener bühnen (tribünen an der turmbühne, dieses jahr mit sonnensegeln auf dem cloud cuckoo-hangar – alles ein ohne zweifel nicht nur optischer hinzugewinn. jedoch frage ich mich schon, ob eklatante finanzierungslücken wie 1,6 mio. euro im letzten jahr durch solche ideen zustandekommen.), anreisetag auf mittwoch vorverlegt und damit auch der start des (zugegeben nicht kompletten) programms. zudem engere taktung an acts: waren anno 2008-2011 an der turmbühne noch dj-sets mit drei stunden die regel, sind es jetzt bereits zwei. konzerte dauerten früher gerne mal anderthalb stunden mit der möglichkeit für zugaben, jetzt ist es meistens eine mit vorgegebenem schluss, damit das mit der umbaupause klappt.
kurzum: mehr von allem, insbesondere mehr verdichtung – im programm und auf dem gelände. da ist es klar, dass leute von der angst von floor zu floor getrieben werden, dass es anderswo bestimmt besser ist. und auch nachvollziehbar, dass manche (inklusive uns) bereits dienstagabend in der nähe übernachten, damit die wartezeit in der autoschlange nicht zu lang wird. insofern waren wir auch teil dieses systems.
es wird jedoch dann interessant, wenn wie bei dieser ausgabe vorab durchsickert, dass bändchen am kulturkosmos vorbei verkauft worden sind, was die verifikation durch ein zweites klebebändchen erforderte. die waren donnerstag jedoch auch schon vergriffen, es insofern also auch nicht mehr wirklich nachvollziehbar, wer jetzt als „legal“ zahlende*r auf dem gelände war und wer nicht. aus klatsch-und-tratsch-gründen interessiert mich noch die motivation, weshalb jemensch aus dem umkreis des kulturkosmos das bändchendesign vorab durchsticht und sich daran bereichert. kann mir schwerlich vorstellen, dass das eine aktion einer einzelperson war – irgendeine firma wird diese bändchen sicherlich hergestellt haben.
das supporter*innensystem ist als reaktion auf diejenigen, die in vergangenen jahren ihre option auf ein ticket durch ableisten einer schicht insofern missbraucht haben, als dass sie einfach nicht zur arbeit aufgetaucht sind, sicher richtig. es verdient aber mehr anerkennung als das ticket, nicht sonderlich üppige freigetränke, essen und ein paar socken bei drei schichten à sechs stunden. zumal im fusion-forum auch zu lesen ist, dass manche von ihnen mehrere stunden warten oder sich selber darum kümmern mussten, wo ihre arbeitsbereiche nun liegen. und auch dort schwankte das aufgabenspektrum von gähnender langeweile bis zu überbordendem stress.
dieser stress wurde in diesem jahr glücklicherweise durch die demo nach außen getragen. bereits in der vergangenheit liegende erzählungen aus dem backstage-betrieb bestätigen überarbeitete mitarbeiter*innen sowie eine damit einhergehende toxische atmosphäre. nun sind unvorhersehbare ereignisse während eines festivals in dieser kapazität durchaus ein grund, dass manche unter stress nicht unbedingt ihre besten seiten zeigen. aber gerade die vorkommnisse vom letzten jahr rund um den auftritt der moscow death brigade zeigt entweder mangelnden willen zum dialog oder eine überforderung mit der situation. den vorab geäußerten bedenken der soundsysters hätte sich der kulturkosmos weit mehr im voraus annehmen können als sie am festival-sonntag (vereinfacht geschrieben) vor die wahl „friss oder stirb“ zu stellen. auch ein jahr später scheint das nur insofern aufgearbeitet zu sein, als dass der kulturkosmos die soundsysters einfach nicht mehr als teil der fusion haben möchte.
ähnliches mit dem faq infoladen, der einen rassistischen vorfall mit der security thematisierte und ebenfalls nicht mehr eingeladen wird. beides sendet das signal an initiativen, lieber nach den regeln des kulturkosmos zu tanzen, weil sich genügend andere in der warteschlange befinden, die nur ihren platz einnehmen wollen. ein kritischer dialog sieht anders aus. bzw. wenn er stattfand, müsste dies transparent geschehen.
auch wenn awareness vorne im programmheft einen prominenten platz einnimmt: es gibt vier leute pro awareness-schicht, was für ein festival von 80.000 leuten schlicht und ergreifend viel zu wenig ist bzw. dann doch sehr auf die selbstregulierung hofft. zwar ist dort zu lesen, dass leute sich im fall der fälle an menschen mit funkgerät sowie die infopoints oder den haupttresen wenden können. wenn es jedoch auf dem campingplatz zu einem vorfall gekommen ist, müssen leute dort oder auf dem hauptgelände erstens ganz schön lange suchen oder sind zweitens vielleicht aufgrund von schockzustand dazu gerade gar nicht fähig und brauchen drittens hilfe von leuten aus ihrer gruppe oder von fremden. und gerade bei letzterem ist es schwer, das vertrauen aufzubringen.
zum vergleich: bei bewegungsfreiheit-ausgaben sind es wenigstens zwei leute pro schicht bei einem publikum von in jedem fall unter 1000 leuten. und auch wenn nichts zu tun ist: besser ist es, vorbereitet zu sein. für das fusion-gelände wären 50 leute (besser das doppelte, und motorisiert als teil der security) pro schicht das absolute minimum. plus fixe orte, die auch im festivalplaner sowie in der karte innerhalb der app ausgewiesen sind. es ist schön, dass es eine nummer gibt, die im bedarfsfall angerufen werden kann. jedoch hilft das nichts, wenn mensch irgendwo zwischen palapa und landebahn oder noch schlimmer im südostbereich des campingplatzes im funkloch festhängt. ich hoffe, dass es bereits zum mindeststandard zählt, dass das barpersonal per funk eine direkte verbindung zur security hat.
als weiterer beleg zu den begehrlichkeiten im weitesten sinne, da die fusion für viele kollektive die gelegenheit bietet, ihre basisarbeit erst finanziell möglich zu machen und die erlöse von bars sowie essensständen hierzu herangezogen werden: aus einer telegram-gruppe weiß ich vom weitergeleiteten gesuch eines essensstandes. dort war wegen krankheit ein platz freigeworden und jemensch konnte sich ein ticket verdienen. bedingung dafür: vier schichten für jeweils sieben stunden. bei 28 stunden und einem ticketpreis von 220 euro sind das also aufgerundete 7,86 euro, was vom mindestlohn ziemlich weit entfernt ist.
bei aller notwendigkeit zur finanzierung linker strukturen bei um sich greifender inflation: wenn es sich um einen gut gehenden essensstand handelt, kann ich mir nur schwer vorstellen, weshalb dieser stundensatz nicht so angehoben werden kann, dass entweder die anzahl auf drei schichten reduziert wird (der*diejenige im besten fall also sogar etwas vom festival hat) oder der verdienst auf den mindestlohn aufgerundet wird. sicher geht dies zu lasten der einnahmen, aber mit dem wissen im hinterkopf hatte ich bei den wenigen malen an den essensständen gewissensbisse, wenn ich mich angestellt habe und mir dennoch freundlich begegnet worden ist. wobei mir hier auch die einsicht fehlt, ob jeder essensstand dies so gehandhabt hat oder es nur einige wenige beispiele gibt, die das einsammeln von soligeldern als vorwand nehmen, die begehrlichkeiten für ein ticket auf diese weise ausnutzen zu müssen.
als kontrast hierzu die nation of gondwana im letzten jahr: zwei (zugegebenermaßen stressige) schichten am müllpfand. diente auch dem spendensammeln, und das sehr erfolgreich – es kamen 12.000 euro zusammen. dennoch wurde jede*r mit einem ticket, einem essen pro tag, freigetränken plus 12 euro die stunde bezahlt. mir ist klar, dass die nation von einer gmbh zentraler organisiert wird und bei einem zur fusion vergleichbaren ticketpreis weniger bühnen mit weniger acts über weniger tage bespielt. dennoch: das war überaus fair.
im direkten vergleich zur nation erschließt sich mir jedoch der hauptsächtliche knackpunkt: bei allem zuspruch, den ich der fusion aufgrund der dahinterstehenden idealistischen idee mehr als gönne, kann ich mich (mangels transparenz) des eindrucks nicht erwehren, dass die schiere größe des festivals dem kulturkosmos über den kopf gewachsen ist. der laufende betrieb scheint wegen der unzureichenden personellen struktur nur durch ungebrochenen willen zur selbstausbeutung möglich. ich weiß: das ist im kulturbetrieb gang und gäbe. und der balanceakt, wie sich bei überall gestiegenen kosten eine faire bezahlung mit einigermaßen gleichbleibender qualität des unterhaltungsprogramms und bezahlbaren eintrittspreisen vereinbaren lässt, wird nicht nur auf der fusion zu lösen sein. das betrifft alle kulturbetriebe, die sich gerade nach der pandemie mit einer noch härteren betriebswirtschaftlichen realität konfrontiert sehen.
ich gebe zu: auch ich wurde vom „höher, schneller, weiter“ (nicht nur auf) der fusion verwöhnt, jedoch war dies in den vergangenen jahren immer noch irgendwie handzuhaben. es mag eine frage des alters sein oder auch des verdrusses, der mich bspw. sonntagabend im berghain am rande verweilen lässt. insofern ist meine wunschliste sehr von meinem derzeitigen bedürfnis nach mehr übersicht geprägt. rückblickend wäre der kulturkosmos meinem eindruck nach besser gefahren, das jahr 2012 als absolute ausnahme zu betrachten, damit die begehrlichkeiten eben begehrlichkeiten bleiben zu lassen und die anzahl der tickets härter zu limitieren. oder eben bei sich personell so aufzustocken, dass sichergestellt ist, den selbstgesetzten anspruch eines gerechteren gegenentwurfs zum kapitalismus bei der organisation eines festivals in der größenordnung nicht zu verwässern. mit dem, was jetzt so durchsickert, scheinen diese mechanismen (arbeitsverdichtung beim gleichzeitigen pochen auf idealismus einzelner, den laden am laufen zu halten, auch wenn von den energiereserven längst nichts mehr übrig ist) auch dort einzug gehalten zu haben. und genau das bekomme ich als verkappter idealist, der die fusion bislang stets als urlaub von dieser tretmühle begriffen hat, nicht überein und würde mir vom kulturkosmos wünschen, sich trotz härter gewordenen wirtschaftlichen und politischen realitäten gerade in der hinsicht kritisch zu reflektieren. dem idealanspruch scheinen sie im hintergrund seit jahren nicht gerecht geworden zu sein – dieses jahr wurde es für mich offensichtlich. daher setze ich mit der großen hoffnung aus, dass sie sich ihrer vorreiterrolle bewusst werden und die fusion nicht zu einem weiteren festival wird, das ohne rücksicht auf vorhandene personaldecken so viele leute mitzunehmen versucht wie nur irgend möglich. wachstum hat grenzen.
wünsche
vielmehr meine idealvorstellung. wobei das auch dem bau von luftschlössern entspricht – das betriebswirtschaftliche verständnis wurde mir nicht gerade in die wiege gelegt. beinhaltet auch einige sehr bittere pillen, weil die fusion ihren reiz der abwesenheit von regulierung verdankt. jedoch wird seit einigen jahren sichtbar, dass dies lücken zum durchschlüpfen bzw. ausnutzen bietet:
- generell: weniger ist mehr!
- um wieder mehr übersicht über das geschehen zu bekommen: schrumpft euch gesund. limitiert die tickets auf 50.000 stück, besser noch 40.000. zugegeben: das ist die größe der jahre 2008/9, als ich hinzukam. im rückblick quasi ideal.
- reduziert damit einhergehend die anzahl der bühnen. palapa ist als konzertbühne eine bereicherung und der rote platz als kleinerer bruder (sowie die triebwerke als noch kleinere schwester) davon ausreichend. dafür braucht es keine musikalische unterhaltung an den bars. was ist die nächste steigerung vom tubetresen? der tubetresentresen? sowas zieht leute von den eigentlichen bühnen ab, was bei der aktuellen größenordnung von 80.000 zwar deren entlastung dient, bei der hälfte der kapazität aber nicht nötig sein wird.
- mit der reduzierung der bühnen einhergehend: weniger acts, auch auf den verbliebenen bühnen. bietet dafür mehr raum zu deren entfaltung. womit wir wieder bei den begehrlichkeiten wären, da viele sich bestimmt gerne in die biographie schreiben möchten, mal auf der fusion gespielt zu haben. wenn kollektive schon das booking für die bühnen übernehmen: gebt leuten aus eurem dunstkreis die gelegenheit und den djs wenigstens drei stunden. und bands so lange wie sie wollen. wenn es wie bei rauchen eine heftige dreiviertelstunde wird, wäre es im gegenzug völlig ok, kalibern wie the notwist wenigstens anderthalb stunden zu geben. ich persönlich kann gut damit leben, wenn es auf den bühnen nicht schlag auf schlag geht, ergo: genügend zeit für umbaupausen während den acts ist. allerdings bin ich auch aus dem alter raus, in dem ich umwerfende unterhaltung zu jeder zeit an jedem ort brauche. alleine die anzahl an talks und workshops ist erschlagend (und zwar so sehr, dass ich dieses jahr nichts davon wahrgenommen habe). ich brauche auch keine zwei zelte für performances neben dem see. am besten eines, das an den seiten offen ist (ehe die leute in der hitze zerfließen wie am donnerstag im la ballena).
- darauf aufbauend: verkürzt die dauer der fusion und verlegt den start wieder von mittwoch auf donnerstag.
- damit einhergehend, wenn auch logistisch schwer handzuhaben: sperrt ebenfalls die zufahrtsstraßen bis donnerstag und lasst ausschließlich anwohner*innen und supporter*innen durch, die exklusiv platz im supporter*innencamp haben und nicht anderweitig etwas freihalten. (wohlwissend, dass das durchaus egoistisch gedacht ist, weil der lieblingsplatz im ruhecamp in diesem jahr u.a. dadurch bereits großflächig vergeben war. allerdings ist auch dies ein weiterer beleg für begehrlichkeiten von außen, wenn supporter*innen von ottonormalbesucher*innen als vorbot*innen zum platz freihalten herangezogen werden und andererseits wiederum ein beleg für die allgemeine überforderung, dass das bereits am dienstag nicht wirklich kontrolliert worden ist.)
- mit niedrigerer besucher*innenanzahl wird der bedarf an supporter*innen wahrscheinlich niedriger sein, was nun die möglichkeiten bietet, entweder deren anzahl zu verringern oder sie weniger schichten arbeiten zu lassen. bei mir starke tendenz zu letzterem: sie bekämen dadurch immer noch die kosten für das ticket wenigstens zum teil wieder rein und hätten bei zwei schichten immer noch genug vom festival. das wäre nur fair, weil die supporter*innen als diejenigen mit einer gehörigen portion idealismus und motivation dazu beitragen, allen anderen durch ihre arbeitskraft ein schönes festival zu ermöglichen. als gäste wären sie mir allemal lieber als der erlebnishungrige, sich in zehnergruppen über tanzflächen schiebende mob.
mit ein bisschen polemik: die spaltung zwischen den unter tage schwerstarbeitenden ameisen und der hautevolee, die sich an den bühnen verlustiert, wurde dieses jahr offensichtlich und steht meiner ansicht nach nicht für den antikapitalistischen gedanken, mit dem die fusion nach wie vor antritt. - trotz niedrigerer ticketanzahl: lasst die personelle infrastruktur im hintergrund bitte wachsen. wenn einerseits leerlauf herrscht und andere wiederum nicht wissen, wo ihnen der kopf steht, braucht es bei der personalplanung mehr leute bzw. wahrscheinlich überhaupt erstmal eine übersicht. ggf. ein freelancing-system einführen, was es den leuten entweder erlaubt, früher zu gehen und dann entsprechend weniger stunden bezahlt zu bekommen (wobei der mindestlohn die untergrenze sein sollte) oder (besser) die möglichkeit bietet, an anderen stellen einzuspringen.
- hinterfragt mit mehr realismus das, was mit den vorhandenen mitteln machbar ist und steckt ggf. auch mal zurück oder gebt ruhig zu, dass mensch sich auch finanziell verhoben hat. so nachhaltig der ausbau der turmbühne auch ist, steht der für mich symbolisch für das, was vor dem hintergrund wegbrechender einnahmen durch die pandemie hätte hinten angestellt werden müssen. wenn mal eine bühne nicht ausgebaut werden kann, dann sind die leute sicherlich mit dem standard von vor zwei, drei jahren ebenfalls zufrieden. oder macht zeitnähere, zweckbasierte crowdfundings – die fanbasis habt ihr ja.
- der unpopulärste vorschlag von allen, jedoch im wissen darum, dass alles nicht günstiger geworden ist: lasst trotz verkürzter dauer (donnerstag bis sonntag/montagfrüh) und weniger tickets den ticketpreis gleich oder ca. um die 200 euro. bei weniger zu bespielenden bühnen, damit einhergehend weniger kosten für miete und strom für die technik sowie für das booking wären selbst zwei drittel des vorhandenen programms für mich als ziemlich-ok-verdiener mehr als nur ausreichend.
diejenigen mit schmaleren kassen könnten teil der supporter*innen sein und sich auf basis des mindestlohnes entweder einen teil oder das komplette ticket zurückverdienen. etwas unrealistisch herumgesponnen: gutverdiener*innen ebenfalls, die durch ableisten von einer oder zwei schichten durch spenden ihres stundensatzes in eine art fonds einzahlen, der anderen wiederum ein ermäßigtes ticket ermöglicht (wobei der nachweis für die bedürftigkeit wieder gelegenheit für schlupflöcher bietet). da die app bereits ein riesiges potential bietet: wenn es möglich ist, sie mit den durch das ticket übermittelten persönlichen daten zu verknüpfen und das fusion-arbeitsamt auch kurzfristig stellen ausschreiben kann, für die mensch sich vom campingplatz aus melden kann, sollte das genutzt werden. im gegenzug gehören leute, die bei den supporter*innen durch abwesenheit glänzen, für wenigstens ein jahr auf eine schwarze liste, auch bei der ticketverlosung. - eher unrealistisch umzusetzen, aber dennoch: wenn die gästeanzahl insgesamt annähernd gleichbleiben soll, macht zwei kleinere fusion-ausgaben an zwei wochenenden. oder zwei festivals mit unterschiedlichem namen, wenn das wochenende nach der sommersonnenwende exklusiv „fusion“ sein soll. plan:et c hat gezeigt, dass die infrastruktur über mehrere wochen aufrecht erhalten werden kann. im nachhinein frage ich mich zwar: zu welchem preis? aber grundsätzlich ist es möglich, das gelände mehrere wochenenden hintereinander zu bespielen. ich müsste nicht zwingend auf „fusion“ als label bestehen, sondern viel lieber ein festival mit überschaubarer größe und unbekannteren acts genießen. mit den zwei ausgaben könnte bei unterschiedlichen bookings auch wiederum das problem gelöst werden, dass möglichst viele dort spielen wollen, wenn es auf einmal zwei mal viereinhalb tage bei insgesamt 100.000 gästen sind (keine dopplungen beim booking vorausgesetzt).
- bringt frischen wind in die strukturen.
um den oben mit der forderung nach „weniger ist mehr“ geöffneten kreis zu schließen: wenn schon viele potentielle besucher*innen das bedürfnis nach dem haben, was einst als ferienkommunismus angetreten ist, sollte von oben auch vorgelebt werden, was das bedeutet. das ist für mich mitnichten das streben nach immer mehr, um möglichst viele leute mitzunehmen und ihnen dafür im gegenzug mehr bieten zu müssen. gerade dieses jahr hat gezeigt, dass diese verwöhnkultur eine spirale in gang gesetzt hat, die seitens des kulturkosmos nur noch schwer durchbrochen werden kann – im gegenteil: ich habe sogar zweifel daran, dass dies überhaupt in deren interesse ist.
spätestens durch die demo und deren aufruf haben hoffentlich viele begriffen, dass dieses wachstum nicht nur kosten, sondern auch seinen tribut zollt. wenn ich die skepsis beiseite lasse, kann ich annehmen, dass das unkontrollierte wachstum so chaotisch verlaufen ist, dass das von der personaldecke des kulturkosmos alleine aufgrund von überforderung nicht mehr gehandhabt werden kann (was nur menschlich wäre). inklusive skepsis werfe ich die these in den raum, dass an wirklich strukturellen verbesserungen kein interesse besteht, die fusion als eine gelegenheit zum gelddrucken wahrgenommen wird und sich damit dem kapitalistischen ideal nach arbeitsverdichtung und optimierung der einnahmen andient. es mag sein (bzw. ich hoffe stark), dass deren großteil tatsächlich bei linken strukturen / läden / initiativen landen. aber dennoch trägt es in diesem jahr für mich den besonders faden beigeschmack, wenn sich ein vermeintlich kollektiv organisiertes festival als dann doch sehr hierarchisch organisierte angelegenheit entpuppt, bei dem es eine frage des verhandlungsgeschicks ist, dass manche dabei besser dastehen als andere. es fällt mir schwer, dass sich der kulturkosmos die „manche sind gleicher als andere“-haltung zu eigen machen möchte, zu spüren war dies beim publikum in diesem jahr in jedem fall. und dank engagierter supporter*innen auch dort, denen ich sehr die daumen drücke, dass flugblätter sowie demo intern den handlungsbedarf aufgezeigt und damit diskussionen angestoßen haben.
ich bin sehr auf den newsletter gespannt. wenn dort nicht auf die kritikpunkte eingegangen wird, sehe ich es als beleg mangelnden willens, sich ernsthaft mit schiefgelaufenen internen entwicklungen zu beschäftigen. gleichzeitig hoffe ich darauf, dass die stimmen gehör finden, die eine augenhöhe wiederherstellen möchten.
*: links
neues deutschland: fusion-festival: mitarbeitende beklagen arbeitsbedingungen
berliner zeitung: fusion festival: personal streikte mehrere stunden – spielte rassismus eine rolle?
nordkurier: klassenkampf im ferienkommunismus: das steckt hinter dem „aufstand auf der fusion“