prolog
wenn die serie schon disclaimer setzt, kann ich das auch: ja, das ganze hier wird lang. überkompensation für mehr oder weniger funkstille und interesse an person und thema.
an sich wollte ich ja viel mehr serien rezensieren, weil die gesamtsituation das hintereinander-wegschauen nach wie vor zu einer der gefragtesten freizeitgestaltungen macht. eine gewisse schreibfaulheit meinerseits dürfte aber den regelmäßigen leser*innen durch die diversen platzhalter hier bereits aufgefallen sein.
nun bin ich in einem dilemma. christiane felscherinow hat mit ihrem bestseller inklusive der nachfolgenden verfilmung von ulrich/uli edel einen ziemlichen beitrag zu meiner vorsicht gegenüber betäubungsmitteln (wozu ich neben den illegalisierten auch alkohol und nikotin zähle) geleistet. beides hatte ich bis zur achten klasse bereits gelesen bzw. gesehen und mein interesse an ihrem werdegang danach ließ mich zu einem der selbsternannten expert*innen werden, die mit wald- und wiesenpsychologie kausalketten für den konsum und den mangelnden willen, das therapeutisch anzugehen, zusammenspinnen. klar, dass ich vor lauter faktenhunger bei veröffentlichung des zweiten buches nicht lange überlegen musste.
nach wie vor umgibt sie ein mythos, dessen folgeerscheinungen (heute die gleichen wie damals nach veröffentlichung des bestsellers: einer erwartungshaltung gerecht werden zu müssen, die sie nicht erfüllen kann) ihr selbst so unangenehm sind, dass sie sich wenige monate nach veröffentlichung des nachfolge-buchs anno 2014 aus der öffentlichkeit zurückzog.
vor zwei jahren dann die ankündigung, dass der stoff als serie neu aufgelegt wird. die liegt jetzt nun vor. regie: philipp kadelbach, drehbuch von annette hess, produziert von oliver berben und sophie von uslar. nicht nur christiane sollte im mittelpunkt stehen, sondern das gefüge ihrer clique, die ihre nächte im sound sowie ihrer tage am bahnhof bzw. auf dem babystrich an der kurfürstenstraße bestimmt. einen zeitloseren anstrich sollte die serie haben, da die thematik wenn auch nicht mehr so brennend wie damals, aber immer noch präsent ist. im letzten jahr dann das erste pressefoto, auf dem anfang-zwanzigjährige schauspieler*innen in modischer aufmachung der späten 1970er-jahre mit rebellisch-hippem anstrich in die kamera schauen. „na, das kann ja was werden,“ dachte ich bei mir. und wartete ab.
es gab dann einen kürzeren trailer, der diesen eindruck untermauerte und wenig später einen längeren, der mir zumindest etwas die sorge vor einem glamourös-glorifizierenden großstadtmärchen nehmen konnte. faktenhungrig wie eh und je überwog bei mir die neugierde, ob die serie sich der defizite des films annimmt und es insgesamt besser macht.
und genau hier bin ich beim angesprochenen dilemma: die produzent*innen setzen zum anfang jeder folge den disclaimer, dass sie auf den erlebnissen von christiane felscherinow basiert, einzelne ereignisse sowie personen jedoch fiktionalisiert sind. zugleich ward in der presse zu lesen, dass auch die damaligen tonbandaufnahmen erneut für einen tieferen einblick herangezogen worden sind. ein für mich geschickter rhetorischer kniff, um dem anspruch zu entgehen, mit buch oder film verglichen und stattdessen besser als eigenständiges werk gesehen werden zu wollen. mag in ordnung gehen, wenn die geschichte für jetzige sehgewohnheiten adaptiert werden soll. ist aber zugleich ein raffiniertes reframing, das die serie durch das vorschieben der so vielzitierten künstlerischen freiheit vorab gegen kritik immunisieren soll.
nach jetzt einer woche, die seit der veröffentlichung vergangen ist, kommt eine weitere schwierigkeit hinzu, die auch meine meinung bereits vorwegnimmt: ich hatte bereits am samstag damit angefangen, die ersten zeilen hierfür zu verfassen, weil mich an der serie so vieles aufregt. zu dem zeitpunkt stand sie in den amazon-bewertungen bei 2,4 von 5 sternen. mittlerweile hat sich das leicht auf 2,7 verbessert, aber um ehrlich zu sein, ist mir alles unter 2,5 an schadenfreude recht, so dass sich die verantwortlichen fragen gefallen lassen müssen, ob das ergebnis wirklich das budget rechtfertigt.
es wird hier also vieles stehen, was bereits anderweitig (rezensionen bei youtube, amazon sowie in der presse) abgehandelt worden ist. den negativen aspekten schließe ich mich auch nochmal in aller ausführlichkeit an. klar gibt es stimmen, die eine gewisse offenheit für die neuinterpretation des stoffes anmahnen, jedoch ist das für mich ein totschlagsargument. die macher*innen haben sich dafür entschieden, sich für die serie bei der durch buch und film etablierten quasi-„marke“ zu bedienen. daher nehme ich mir heraus, dass sie sich den vergleich zu beidem gefallen lassen muss.
eine gewisse vertrautheit mit dem buch setze ich voraus, das eigentlich jedem*r leser*in bekannt sein sollte, der*die in den vergangenen 20, 30 jahren zur schule gegangen ist. wer bis zum ende gelesen hat, wird sich jedoch den eindruck nicht verkneifen können, dass ich’s mit den details einfach nicht lassen kann. wer den film noch dazu gesehen hat: umso besser. da ich zu diesem aber auch ein paar kritikpunkte habe und eh gerade am austeilen bin, kommen die einfach mit hierzu. das verdeutlicht u.a. auch meine erwartungen im vorfeld und welche stoßrichtung die serie verfolgt (an der nicht alles, aber dann doch der großteil schlecht und nicht mal mehr gut gemeint, sondern beinahe schon fahrlässig ist).
bevor es losgeht, noch eine triggerwarnung: es werden sexuelle gewalthandlungen geschildert. wer sich dabei unwohl fühlt, sollte entweder nicht oder nur in begleitung weiterlesen. des weiteren wird das bei der beleuchtung dessen, was gut und schlecht lief, nicht spoilerfrei sein. der hauptgrund dafür: ihr könnt eine menge zeit sparen.
inhalt
christiane wächst in der berliner gropiusstadt in prekären verhältnissen auf, freundet sich in der schule mit stella an, entdeckt mit ihr gemeinsam das sound als sehnsuchtsort, erweitert dort ihren freundeskreis, sammelt erste erfahrungen mit irgendwelchen pillenartigen substanzen und hasch. unterdessen greifen zunehmend mehr in ihrem umkreis zum heroin, das sie schließlich im rahmen eines david-bowie-konzerts selbst probiert. im anschluss daran beschaffungskriminalität, prostitution, entzüge, rückfälle, todesfälle. schlussendlich cleanes leben auf dem land, ihr freund (der zu benno umgetaufte detlef, der einfachheit halber fortan bennodetlef) macht seinen hauptschulabschluss, stella lässt für sich anschaffen. stern-reporter schauen auf dem land vorbei, um sich die geschichte der mittlerweile springreitenden christiane erzählen zu lassen.
wertung
kann ich drehen und wenden, wie ich möchte – es wird auch nach einer woche nicht besser: 3 von 10. und das ist noch wohlwollend. es soll jede*r für sich selbst entscheiden, ob es die zeit (also die acht stunden) wert wäre. auch wenn es dem klischee entspricht: wer das buch noch nicht kennt, sollte sich lieber die zeit für die serie sparen und lesen. das ist immer noch spannend genug, dass mensch es in acht stunden durch haben sollte. für diejenigen, die es kennen: lieber nochmal lesen. für diejenigen, die sowohl das buch als auch den film kennen und absolut neugierig sind: schaut es euch meinetwegen an, wenn ihr die zeit partout für nichts besseres nutzen möchtet.
hier wurde eine große chance mit weitem anlauf in den sand gesetzt. aber fange ich mal mit dem an, was für die wenigen momente gesorgt hat, weswegen ich zwischendrin dann doch mal anerkennend mit dem kopf genickt habe.
positive aspekte
da setze ich bei den hoffnungen an, die ich wegen der defizite des films hatte. der hat bei mir als teenager den schalen beigeschmack des buches mit hilfe der drastischen darstellungen untermauert. hinzu kam noch meine berliner sozialisation, so dass ich die orte stellenweise bereits kannte. bilder, maske, effekte sowie soundtrack verfehlten ihre wirkung nicht – der physische sowie psychische verfall geschah im zeitraffer. alleine: kontextualisiert wurde bei all dieser atemlosigkeit wenig bis gar nicht. der film startet mit einem monolog der „christiane“, bzw. natja brunckhorst, die in die kamera blickt. kurzer abriss zum familiären hintergrund sowie einer menschenfeindlichen wohnsituation, die sich mitten in ihrer pubertät nicht gerade positiv auf ihr lebensgefühl auswirkt. sprung zu den plakaten, die das sound als europas modernste diskothek anpreisen und nach nicht mal 13 von 125 filmminuten hat sie in besagtem sound bereits eine undefinierte pille zu sich genommen, einen junkie mit nadel im arm auf der toilette gesehen und trifft detlef und axel draußen, während sie sich übergibt. mensch muss im buch erstmal wenigstens 20% geschafft haben, bis sie sich überhaupt mit kessi auf den weg richtung genthiner straße (wo sich das sound seinerzeit befand) macht.
so sehr ich nachvollziehen kann, christiane felscherinow drei jahre nach erscheinen des buches bei einer begrenzten laufzeit wie in einem film in den mittelpunkt des interesses zu stellen, geschieht das eher mit dem voyeuristischen blick auf ihren absturz sowie dem ihres engsten umfelds (also detlef und babsi).
ein manko des filmes ist das ausblenden, bzw. die sehr stiefmütterliche behandlung der kompletten vorgeschichte, wohingegen er bei drogenkonsum und den stationen des absturzes zugunsten drastischer bilder ziemlich faktentreu bleibt. die gründe für den konsum bleiben im luftleeren raum. nur indirekt angedeutet wird die gewalttätigkeit ihres vaters, die christiane und ihre schwester bereits im kindesalter erfahren haben, als ihre filmschwester auszieht. kein wort, bzw. keine szene zu dessen alkoholismus bzw. den prekären verhältnissen, die auch die junge christiane bereits im kindesalter zum stehlen verleitet haben. was außerdem fehlt: ihre versuche, dieser tristesse durch ausflüge mit ihrer schwester und den tieren aus gropiusstadt an den stadtrand zu entfliehen, ihr bedürfnis nach sozialem anschluss sowie anerkennung, das durch neue freund*innen in der schule sowie im „haus der mitte“ erst zum bier und wein, dann zu zigaretten und haschisch sowie ersten trips führte. die familienmitglieder und freunde (ja, inklusive kessi) bleiben bestenfalls in statistenrollen. das trifft insbesondere auch auf ihre mutter zu, die nach dem ersten entzug nicht mehr in erscheinung tritt. die kälte der gropiusstadt wird nur indirekt beim blick aus dem fenster sichtbar – hier hätten ein paar kameraschwenks auf abgesperrte grünflächen oder durch die betonwüsten schon was bewirken können.
immerhin gleicht das authentische bild des damaligen west-berlins diese mängel aus. jedenfalls liegt darin für mich die stärke des films: die zeitnahe umsetzung wenige jahre nach erscheinen des buches brachte den vielzitierten heimvorteil. so konnte uli edel direkt im sound drehen, ohne kulissen nachbauen zu müssen. gentrifizierung war auch anfang der 1980er-jahre noch kein thema für west-berlin (der film entstand während der hausbesetzer-zeit), die bahnhöfe waren noch nicht renoviert, in eingängen der häuserruinen ließen sich szenen des fixens drehen, der babystrich existiert sogar heute noch. mit anderen worten: die stadt und deren tristesse haben drückten dem film bereits von alleine ihren stempel auf.
einer der gründe, weshalb die serie ihre 3 von 10 punkten verdient hat, liegt tatsächlich darin, dass die geschichte vor den ersten drogenerfahrungen beginnt. nicht nur denen von christiane, sondern der restlichen gruppe. auch wenn hier vom buch abgewichen wird: familiäre streitigkeiten und gewalt bzw. gar ignoranz gegenüber schmerzhaften tatsachen (die vergewaltigung stellas durch einen stammgast in der kneipe ihrer mutter) setzen den rahmen, der den griff zu betäubungsmitteln erklärt. das fokussiert sich aber primär auf die weiblichen protagonistinnen und weniger auf die herren in der clique. dort wird der familiär-soziale hintergrund nur ansatzweise detailliert für bennodetlef geschildert. axel ist von anfang an dabei und greift hin und wieder bereits zur spritze, wird als sensibler charakter auch gut von jeremias meyer verkörpert, aber sonst bleibt dessen hintergrund im dunkeln. bei michael geht das sogar noch eine stufe weiter: er bleibt nicht mehr und nicht weniger als aggressiver stichwortgeber. hier ist der luftleere raum aus dem film wieder da und die herren scheinen zum teil aus heiterem himmel zum heroin zu greifen.
wechsel zu den damen: der konsum findet bei ihnen nicht aus dem nichts heraus statt. und außerdem im falle von christiane trotz diverser entzüge weiterhin regelmäßig: wo der film einmal, aber mit der darstellung des ersten entzugs dafür gründlich in die tiefe ging, werden hier immerhin zwei versuche und auch die verzweiflung ihrer mutter deutlich, was bereits im buch viel und in der serie den gebotenen raum einnimmt. der film verschweigt dies, hier kann ausnahmsweise die serie punkten.
des weiteren, jedoch nicht unproblematisch: die darstellung der freier, insbesondere die des „günthers“. stotter-max gab es nur kurz im film, hier ausführlicher und sogar tatsachengetreu, da (geht es nach dem buch) sowohl christiane als auch detlef zeit mit ihm verbrachten. da lässt sich über den fakt hinwegsehen, dass er sie nicht mit heroin, sondern in bar bezahlte – im gegensatz zu günther, der die rolle des heinz aus dem buch einnimmt. das ist der problematische teil: gerade günther wird als eifer- und sehnsüchtiger pädophiler dargestellt, der sich die mädchen mit heroin gefügig machen will und gewalttätig wird, als er herausfindet, dass die erkauften mädchen sich auch über andere freier versorgen. bis es soweit kommt, schrammt seine darstellung durch fürsorge und die heiratsanträge gefährlich nahe an der grenze zum mitgefühl vorbei (und überschreitet am ende auch die zur fremdscham).
der positive aspekt ist also der versuch, die längere spieldauer dafür zu nutzen, die geschichte nicht ausschließlich auf christiane, sondern auf das gefüge der clique und deren familiäres sowie das umfeld der freier zu fokussieren. ebenfalls gut: das misstrauen innerhalb der clique bekommt seinen raum und stimmt dadurch mit buch und film überein.
generell: mehr versuche zur detailtreue und damit eine steilvorlage für detailversessene wie mich. jedoch bleibt es bei diesen versuchen eben viel zu häufig.
negative aspekte
dem einfachsten und einem der mittlerweile am häufigsten vorgebrachten hauptkritikpunkte schließe ich mich an: es ist wenig sinnvoll, eine produktion mit so einem titel und entsprechend vorgeschalteten erwartungen in der ersten reihe mit schauspieler*innen zu besetzen, die um die 20 jahre alt sind. schön, wenn bereits einiges an erfahrungen in die waagschale geworfen werden kann. der film konnte durch die konsequente besetzung mit teenagern mit authentizität punkten, wobei das nicht der einzige grund ist, weshalb dies der serie so gut wie komplett abgeht.
erstmal hierzu: die serien-christiane geht als 16/17-jährige durch und deren vater könnte ihr großer bruder oder cousin sein (gut, mental ist er das in der serie auch). sicher, ihre mutter (also die aus dem buch) wurde früh schwanger, um der enge des elternhauses zu entfliehen. aber zur verdeutlichung nur mal etwas mathematik mit den geburtsjahren der seriendarsteller*innen: angelina häntsch (spielt hier christianes mutter) ist jahrgang 1984, sebastian urzendowsky (spielt christianes vater) 1985, jana mckinnon (also christiane) 1999. früh übt sich.
mal abgesehen vom alter ist christianes vater der jugendlich wirkende tölpel, der keine antworten auf die finanziellen nöte parat hat. das entlädt sich zu weihnachten gegenüber ihrer mutter in handgreiflichkeiten. und ja, das ist (bis auf weihnachten, vielmehr war christiane eine maus abhanden gekommen) so im buch passiert, jedoch war das der traurige höhepunkt einer langen reihe von misshandlungen, denen sich die familie ausgesetzt sah und der letztendlich zur scheidung und auszug der mutter mitsamt christiane und ihrer schwester führte. apropos: wo ist ihre schwester in der serie eigentlich?
mit etwas gutem willen kann mensch das jedoch noch als passabel umgesetzte einführung in die gemütslage sehen, die christiane mitsame ihrer clique zum sound und zum ersten drogenkonsum verführt. das sound ist hier wiederum ein ziemlich hipper club, in dem die lichtanlage den exponiert positionierten dj mit einer art heiligenschein versieht. überhaupt ist die welt dort schön bunt, die meute feiert zu mal mehr und mal minder poppigem techhouse. die brücke zur jetztzeit sollte damit wohl geschlagen werden, ist aber für meine begriffe sehr wacklig. die serien-christiane ist sofort angetan von dieser welt. da wird nicht mal ansatzweise daran gedacht, dass die erste nacht im sound die erwartungen der buch-christiane eigentlich so gar nicht erfüllt hat und sie sich stattdessen erst – auch zuliebe der anerkennung ihrer freund*innen – an den laden gewöhnen musste. stattdessen dominiert in der serie eine gewisse naivität, die teenagern sicherlich zueigen ist. aber wenn selbst die 16-jährige christiane ihre skepsis gegenüber dem sound im buch so benennen und ihren drogenkonsum auch kritisch spiegeln kann, hätte dies berücksichtigt werden können, gar müssen.
durch die musikauswahl wird die inkonsequenz nochmal deutlicher: die musik david bowies ist zentral für buch und film, fungiert in der serie jedoch als vehikel, beim luftgitarrewettbewerb im sound karten für’s konzert abgreifen zu können, das nun wiederum die gesamte clique besucht, bzw. besuchen will. für’s protokoll: auch wenn der cameo-auftritt bowies im film hätte zusammengekürzt werden können (obgleich ich verstehe, dass seine präsenz dem streifen mehr aufmerksam- und glaubwürdigkeit beschert hat), orientierte sich das drumherum immerhin ziemlich genau an den erlebnissen aus dem buch. christianes mutter hatte zwei tickets und christiane ging mit „hühnchen“ zum konzert, weil detlef zu der zeit bereits erfahrungen mit heroin sammelte. sie hatte also genug mit einer gefühlten distanz in ihrer beziehung und der angst vor mangelnder anerkennung in der clique zu kämpfen – gleichzeitig gaben ihr die trips und andere rauschmittel immer weniger. in der gemengelage griff sie (im buch und im film) zum ersten snief, nicht unter zuhilfenahme von mystery-elementen als metapher der verführung zur spritze auf dem silbertablett wie in der serie. danach konsumiert sie erstmal nasal weiter, bis wieder die spritze aktuell wird. da wurde die genauigkeit einer ästhetik geopfert, die nur vermeintlich drastisch sein will, aber durch die verlagerung ins mysteriöse, nebulöse entschärft. bitte immer im hinterkopf behalten: wir haben es ja hier mit einer neuinterpretation zu tun.
es gibt also die ungenauigkeiten, die sich jedoch nicht kritisieren lassen, weil: siehe disclaimer zu beginn jeder folge. also weiter im dilemma, wenn dieser pfad für den rezensenten versperrt ist und die serie als eigenständiges werk gesehen werden muss. dann bleibt noch genug absurd-hanebüchenes: der dj des sounds scheint ein vielbeschäftigter mann zu sein. erst opfer von sexparties nach art der cosa nostra im wald verscharren, dann läuft babette / babsi ihm in dahlem fast vor’s auto, in dem sie direkt übernachten darf. in weiteren folgen himmelt sie ihn inner- und außerhalb des sounds an und sehnt sich nach dessen beachtung. ich habe das erst als eine art vaterersatz gesehen. aber da es mir gerne mal an interpretationsfähigkeiten mangelt, bin ich für die amazon-rezension dankbar, die ihn als personifizierten tod benannt hat. es mag aber auch diskutabel sein, ob es solche metaphorisch, beinahe märchenhaft aufgeladenen bilder wirklich braucht, was sowohl zur thematik und erst recht zum ausgangsmaterial für mich partout nicht passen will.
dann noch die angedeutete hexenverbrennung von christianes tante auf dem land, die vielleicht die konservative strenge untermalen soll, aber für mich nicht zur handlung beiträgt und damit ein aus der luft gegriffenes schockelement bleibt.
der momente zum stutzen damit jedoch nicht genug. auswahl:
christiane stürzt gleich in der ersten folge zehn stockwerke mit dem fahrstuhl in die tiefe und schildert das vor der klasse unter allgemeinem gelächter. wenn zuschauer*innen dort bereits auf den bevorstehenden gesundheitlichen, moralischen absturz vorbereitet werden sollen: ganz schön plump, das ganze. zumal ich mir bei niemenschem vorstellen kann, nach so einem unfall noch relativ gerade vor einer klasse stehen zu können.
axels paranoia, von der stasi abgehört zu werden, wird nach seinem tod bekräftigt.
grotesk wird es mit den angesprochenen sexparties oder dem, was stella als zuhälterin zum schluss angedichtet wird. moralische verrohung hin oder her, aber da hätte es gereicht, nahe am buch zu bleiben.
komischerweise passiert das auch in details, um die nerds zufriedenzustellen: so ist die buch-stella im gefängnis tatsächlich monika berberich von der raf begegnet, aber benannt wird sie in der serie auch nicht. und deren grundlagen der kapitalismuskritik münzt stella fortan in der form um, jüngere mädchen für sich anschaffen gehen zu lassen. kann mensch als zeichen abgestumpfter nutzung von intelligenz und einer weiteren stufe richtung moralischen verfall sehen. dafür ist das mir nicht nur eine ecke zu billig und außerdem passt dieser geschäftssinn nicht so recht zu den um die ecke lauernden entzugserscheinungen.
der turkey scheint auch kein thema zu sein, wenn die drei jungen damen modisch gestylt mit einem lächeln auf den lippen auf dem catwalk unter freien himmel (gemeint ist eigentlich der babystrich) zu den klängen von santigold die herren in den autos heiß machen. die unangenehmen seiten bekommt mensch nur mit, wenn christiane alleine dargestellt wird – oder die spuren in babsis gesicht nach angedeuteter gruppenvergewaltigung (die im buch tatsächlich erwähnt wird), wo der dj, totengräber, vaterfigur und tod in personalunion die wunden reinigt bzw. babsi ins jenseits holt.
zurück zu den entzügen: die dauern nicht mal ansatzweise so lange wie die für den film zentrale szene. leicht verschwitzte haare sowie oberteile und menschen übergeben sich ein klein wenig – schon ist das ganze überstanden. erscheint jedes mal nicht viel schlimmer als ein ordentlicher kater, insofern sind rückfälle durchaus in kauf zu nehmen. überhaupt bemerkenswert, dass zwischen babystrich, schule sowie der mehrmals am tag erfolgenden injektion von unreinem heroin noch so ein makelloses styling möglich ist, so dass allerhöchstens der teint etwas blasser wird.
in all dem (besetzung, absurditäten, verklärende bilder, die sich nur dann etwas schockeffekt trauen, wenn es echt nicht mehr anders geht, aber auch dann nur in homöopathischen dosen) spiegelt sich das wider, unter dem die serie für mich zu leiden hat: sie nimmt die neuinterpretation in den fokus, verharrt dabei im szenenbild der 1970er/1980er mit der musik von heute, bleibt dabei also für mich inkohärent. über vielen szenen scheint der kelvin-filter aus instagram zu liegen, so dass ich bei den streifzügen der clique durch berlin schon darauf wartete, etwas wie „a chorus line“ oder wenigstens reminiszenzen an „saturday night fever“ zu sehen.
alles, was mit dem (intravenösen) heroin-konsum und dessen begleiterscheinungen zu tun hat, ist hier im gegensatz zum film für mich erschreckend verharmlosend. trotz der bereits genannten defizite des films war der immerhin in seiner schonungslosigkeit konsequent. auch wenn ihm seinerzeit der vorwurf der glorifizierung gemacht worden ist, konnte ich am entzug, den bildern aus dem u-bahnhof kurfürstendamm, die mit david bowies „sense of doubt“ unterlegt waren und allem was danach folgte, beim besten willen nichts erstrebenswertes finden.
in der serie sitzt hingegen bei wind und wetter und entzug die frisur sowie das make-up. abszesse, unreine, fahle haut, abmagern: fehlanzeige. wenn dem stoff ein zeitloserer anstrich gegeben werden sollte: warum nicht neben hepatitis auch hiv erwähnen oder wollte mensch sich hier nicht über die beginnenden 1980er hinaustrauen?
bei der serie bleibt alles verklärend. selbst die anteilnahme am tod axels wird durch einen gemeinsamen gang zum friedhof fast schon karikiert, indem der rest der clique sich vor dem tor in einem outfit trifft, als ob sie ins berghain möchte (und dabei dem irrglauben aufsitzen, dass die chancen mit schwarzen anziehsachen am besten stehen). noch etwas koketterie mit sex-appeal gefällig? klar, gibt es auch, wenn die serien-christiane ihrem vater die letzten reste des heroins in schwarzem body und netzstrümpfen überreicht.
das herbeikonstruierte ende, bei dem sich christiane und bennodetlef nochmal im gefängnis sehen, setzt der ganzen misere hier noch die krone auf und hinterlässt bei zuschauer*innen die illusion, dass mensch mit dem h-konsum zwar schon irgendwie aufpassen muss, aber letztlich doch glimpflich davonkommen kann. christiane ist da auf einmal viertbeste in ihrer klasse, wohingegen die buch-christiane aufgrund der vorgeschichte auf die hauptschule versetzt worden ist. neben der allgemeinen weichspülung der thematik hat sich die serie auch hier nicht getraut, den damals (und zuweilen auch heute noch) fehlenden willen einer gesellschaft zu benennen, mit dieser problematik umzugehen.
wie hätte es besser laufen können?
nun, es sind seit buch und film rund vier jahrzehnte ins land gegangen. es gibt mit „trainspotting“ sowie „requiem for a dream“ hervorragende beispiele, wie eine seitdem bekannte drogenproblematik ästhetisch anspruchsvoll, aber dennoch passend für den zeitgeist inszeniert werden kann. alleine die entzugsszene zu „dark & long“ von underworld in „trainspotting“ zeigt doch sehr gut, dass sich dance-musik und eindringliche bilder im halbwahn nicht ausschließen müssen. das liegt hier auch an einer hervorragenden dramaturgischen vorbereitung.
„requiem for a dream“ ist fast noch besser vergleichbar: das buch erschien im gleichen jahr wie „wir kinder vom bahnhof zoo“, der film kam jedoch erst gut 20 jahre später. geht es nach dem szenenbild, ist der zumindest so zeitlos, dass er in den 1980er-, aber auch in den 1990er-jahren hätte spielen können. was hier vor allem richtig läuft und mich am ende auch schlaflos zurückgelassen hat: er stellt das streben nach anerkennung als suchtmotiv ins zentrum. gleichzeitig nutzt er den belohnungseffekt durch substanzkonsum, der diese temporäre erfüllung vorzugeben scheint, hervorragend dafür aus, bei zuschauer*innen genau wie bei den konsument*innen die erwartungen zu wecken, dass dies alles durchaus so weitergehen kann. und schlägt dann doch erbarmungslos, jedoch nicht ohne vorwarnung zu.
angesichts dieser beiden nicht mal zweistündigen filme ärgert es mich umso mehr, dass bei dieser serie trotz aller vermeintlichen neuanalysen des audiomaterials von den interviews sowie des buches das augenmerk auf die produktion leicht verdaulicher bilder gelegt worden ist. die kolportierte „inhaltliche neuinterpretation“ bedeutet für mich hier in so gut wie jeder hinsicht absurdes, verharmlosendes und im besten falle redundantes. alles wirft die frage auf, ob die produzent*innen dem amazon-publikum nicht mehr zumuten wollten. hat sich aber auch seit letzter woche erledigt, da der film zeitgleich zum serienstart ebenfalls für prime-kunden freigeschaltet worden ist.
die serie hat christiane felscherinow leider einen bärendienst erwiesen. bei ihr werden sich die anfragen wieder häufen, obwohl ihr rückzug auch aus gründen der distanz zur boulevardpresse erfolgt ist. in deren gefilden wildert die serie für mich. es wäre ihr daher gegönnt, ein gutes management bzw. gute anwälte zu haben, damit sie sich immerhin über den scheck für die rechte freuen kann, aber sonst weiterhin in ruhe gelassen wird.
selbst wenn ich alle vergleiche beiseite lasse und mir vorstelle, dass die serie ihren eigenen titel bekommen und ich sie mir als eigenständiges werk angesehen hätte, käme ich zur gleichen einschätzung. der thematik ist sie beileibe nicht gerecht geworden, vielmehr das gegenteil. mehr glück, mehr courage, mehr feingefühl und am besten ein komplett ausgetauschtes personal beim nächsten mal bitte. mag sich unfair gegenüber den schauspieler*innen lesen, denen ich explizit keine vorwürfe machen möchte. sie leiden hier unter eklatanten mängeln in der konzeption und machen unter den gegebenen umständen das beste daraus.
weitere kritiken:
monopol: oliver koerner von gustorf – eine serie von spießern für spießer
faz: peter körte – sie nennen es modernisierung