review: felix denk / sven von thülen: der klang der familie

es ist ja nicht so, dass techno und berlin als thematische konstellation neu für den suhrkamp-verlag wäre. tobias rapp hat mit „lost and sound“ vor drei jahren bereits ein werk vorgelegt, welches den status quo der stadt anschaulich geschildert hat. leider kam mir für eine rezension immer etwas dazwischen, bis das vorhaben irgendwann obsolet war. innerhalb der szene provozierte die abhandlung über den easyjetset vorwiegend die frage, ob das wirklich nötig gewesen wäre, den allgegenwärtigen berlin-hype feuilletongerecht aufzubereiten und somit noch mehr anzufachen. dazu gesellte sich das berlin-typisch arrogante gähnen, weil es eh omnipräsente fakten rekapitulierte.
die einwände mögen ja alle berechtigt gewesen sein, aber die berliner arroganz übersieht auch gerne mal, dass einige außerhalb der stadtmauern und der party-generation etwas mehr über das wissen möchten, was in den easyjet-broschüren so drin steht. mit anderen worten: das buch war ideal als lektüre für die eltern geeignet, damit auch sie die gründe nachvollziehen können, weshalb sich ihre sprösslinge pünktlich zum wochenende ins auto oder in den flieger setzen und eine woche später mit schatten unter den augen wieder zurückkehren.
darin liegt für meine begriffe der (mehr-)wert von rapps zusammenfassung des wasserstandes von 2009. in ungefähr zehn jahren wird man aufgrund der schnelllebigen entwicklung der szene sicherlich gerne darauf zurückgreifen wollen – darin bin ich mir ziemlich sicher (und irgendwie erleichtert, doch noch so etwas wie eine halb-rezension zustande gebracht zu haben).

nun also felix denk und sven von thülen, beides gestandene de:bug-redakteure, fest in der szene verwurzelt. sie machen das, wovor einem als historiker eigentlich immer graust: sie führen interviews mit namhaften protagonisten und zumindest nicht ganz so prominenten szenegängern aus der blütezeit und kreieren auf diese weise ein riesig anmutendes interview, bei dem alleine die anzahl der beteiligten erschlagend wirkt. die oral history birgt ja stets die gefahr, dass die autobiographische perspektive – gerade nach einigen jahren – zur schönfärberei neigt und wichtige details vergessen oder verschwiegen werden.
kein leichtes unterfangen also: um die 150 interviews führen, 240 stunden audiomaterial auswerten und systematisieren, dann noch eine zusammenhängende geschichte erzählen (lassen), ohne den leser mit details zu langweilen? kann das gutgehen? interessiert das überhaupt jemanden (gerade außerhalb berlins)? ist das nicht eher eine selbstbeweihräucherung aller beteiligten, die ihre überheblichkeit angesichts ihrer verdienste spielen lassen?

da kommt es wohl darauf an, welche fragen man stellt und welche gedanken man sich darüber macht, wie der leser an die thematik herangeführt werden soll. dieser wird daher nicht mit der ersten loveparade anno 1989 ins kalte wasser geworfen, sondern gleitet ab beginn der 1980er-jahre aus zwei perspektiven hinein ins geschehen. da wären zum einen die westberliner, die sich nach abebben der hausbesetzer-bewegung und fehlenden musikalischen glanzlichtern in punk, industrial und new wave in lethargie erging, die als „berliner krankheit“ bekannt wurde. zum anderen die ostberliner um wolle xdp und johnnie stieler, entweder im breakdance oder im punk verwurzelt, was gleichermaßen ungern gesehen war.
anschließend der grundstein mit acid house im westteil mit der turbine und dem ufo, bevor man zur ersten loveparade und der gründung des hardwax kommt. ostberlin wird via radio vom neuen sound infiziert, zeigt sich zwar bei der maueröffnung ernüchtert vom einheitstaumel, jedoch umso begeisterter von den ersten zarten blüten, die das neue nachtleben so treibt.
von da an reicht es, den rest in schlagworte zu fassen: tekknozid, dt64, die loveparade 1991, mayday, planet, frontpage, somewhere over the rainbow usw. usf.

sämtliche beteiligte lassen es nicht an detailreichtum fehlen. so wird man die entdeckung und herrichtung des tresors in der leipziger straße nirgendwo sonst so ausführlich dargestellt bekommen (nicht mal in der subberlin-dokumentation). die querelen zwischen wolle xdp / tekknozid und low spirit / mayday werden ebenfalls skizziert, jedoch leider nicht die hintergründe, weshalb monika dietl bei der umstrukturierung des programms von radio 4u gegenüber marusha die kürzere ziehen musste (was jedoch bei tanith einerseits hier und andererseits da nachzulesen ist).
dazu die geschichten um das e-werk, einerseits faszinierend (wenn man bedenkt, dass bereits 1991 dort unter bedingungen gefeiert wurde, die der bauaufsicht mehr als ein dorn im auge gewesen wären), andererseits erschreckend, was dessen attraktivität für das organisierte verbrechen angeht. auch der bunker kommt als gegenpol – und keimzelle des späteren ostguts und heutigen berghains – nicht zu kurz. was die kudamm-zeiten der frontpage angeht, sind die stories um jl ein gutes beispiel dessen, was im techno richtig und schief zugleich gelaufen ist.

das große verdienst des buches ist zweierlei:
erstens hat es die gefahr der nachträglichen verklärung der geschichte wunderbar umschifft. alleine die anzahl der beteiligten fördert so eine vielzahl an perspektiven zutage, dass dem leser keine in stein gemeißelte version der geschehnisse vorgesetzt wird. der wird sich stattdessen denken, dass die wahrheit irgendwo dazwischen liegen wird oder (naheliegender) noch mehr stimmen dazu hören wollen. äußerst lobenswert ist, wie ungeschönt die aussagen in bezug auf den eigenen drogenkonsum oder die schattenseiten des zur oberflächlichkeit neigenden nachtlebens sind. so ist eine authentische darstellung techno-berlins bis zur mitte der 1990er-jahre zustande gekommen, die erzählungen derjenigen vereint, auf die man auch heute noch hier und dort treffen kann. aber ehe diese in die missliche lage kommen, ihre geschichten von früher wieder und wieder erzählen zu müssen, können sie jetzt einfach auf das buch verweisen.
zweitens ist die einbettung der entwicklung der szene in den (musik-)historischen zusammenhang des noch getrennten berlins und überhaupt der gesamte dramaturgische aufbau (inklusive des exkurses zu den detroitern) nicht weniger als beispielhaft. dabei kommt den autoren auch zugute, dass die szene zumindest in den anfangsjahren noch äußerst überschaubar war und erst die kommerzialisierung ihren teil dazu beitrug, dass sich absplitterungen bildeten, die nachträglich nur schwer zu rekonstruieren sind. als kritikpunkte fielen mir ein, weshalb das wmf eigentlich nirgendwo erwähnt wird, da dies trotz mehrmaligem umzugs eine der ersten adressen war. ebenso das elektro, welches sich zwischen tresor und e-werk befand. apropos e-werk: da fehlt woody als einer der residents. allerdings kann man auch die frage stellen, wieviele clubs und protagonisten man ins boot holen kann, so dass der lesefluss nicht leidet.

wird das buch dem aktuellen hype darum gerecht? eindeutig mehr als das. mal abgesehen von den geschilderten kleinen makeln hat man es meiner meinung nach schon jetzt mit einem standardwerk zu tun, welches die grundlagen dessen, was tobias rapp beschreibt, in äußerst lebendiger form präsentiert. während bei ihm viele fragen zum stand der dinge beantwortet werden, ist „der klang der familie“ die gebündelte form von dessen ursprüngen, die man eines tages den (enkel-)kindern in die hand drücken kann.
spannender kann techno-geschichte nicht sein. ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, wann ich das letzte mal ein buch dermaßen verschlungen habe. den beiden autoren gebührt für ihre mühe höchster respekt und dank, ich hoffe stark auf eine fortsetzung.

residentadvisor kürt swamp 81 zum label des monats

da ich die „frisch eingetroffen“-kategorie leider nur noch sporadisch pflege, muss ich es eben hier verkünden, dass sich swamp 81 in den letzten monaten zu einem der labels entwickelt hat, dessen veröffentlichungen zumindest ich mit ein paar ausnahmen beinahe blind kaufen könnte.
hellhörig wurde ich anno 2009, als es hieß, dass loefah ein label starten würde, und als gleich nach der bereits überzeugenden ersten kryptic-minds-12″ das album kam, war ich bereits mehr als angetan. „one of us“ war für mich der höhepunkt des dubstep-genres in 2009, die user des dubstepforums sahen dies scheinbar ähnlich und stimmten für swamp 81 als newcomer-label des jahres. 2010 und 2011 musste es sich bei den besten labels lediglich malas deep medi musik geschlagen geben. dies ist zumindest für meine begriffe aber ein kopf-an-kopf-rennen zwischen zwei labelmachern, die gemeinsam mit einem vielseitigen musikalischen hintergrund groß geworden sind und deren jahrelange leidenschaft dafür gesorgt hat, dass sie in puncto „veröffentlichungswürdigkeit“ sehr wählerisch sind.
dennoch gibt es einen frappierenden unterschied zwischen beiden labels: deep medi musik ist nach mehr als 50 veröffentlichungen immer noch problemlos in der dubstep-kategorie einzuordnen und setzt dort zweifelsohne trotz eines mittlerweile gut durchkonjugierten genres immer noch ankerpunkte. dahingegen hat sich swamp 81 in zwei jahren mit noch nicht ganz 20 veröffentlichungen zu einer fundgrube für diejenigen entwickelt, die neues abseits bereits klar definierter genres suchen und auch bei den involvierten produzenten neue seiten offenbart (dazu höre man sich lediglich die „croydon house“ von pinch an).

nun hat sich also auch residentadvisor des labels angenommen und gleich die chance ergriffen, den eh selten zu wort kommenden loefah zur label-, veröffentlichungs- und dj-philosophie zu befragen. nach der lektüre wird einem auch schnell klar, dass der labelchef ähnlich wie sein weggefährte mala komplett auf das bauchgefühl setzt. dabei folgt er keinem genre-diktat, sondern einfach nur seinem instinkt und trotzdem kommt dabei ein bislang äußerst konsistenter backkatalog zustande. die zukunftsaussichten verheißen inklusive eines boddika-albums weiterhin viel, so dass ich in dem labelfach wahrscheinlich gerne weiter zugreifen werde.

das alles ist genauer hier nachzulesen.

moritz von oswald im interview mit der faz

man kann über diese zeitung ja geteilter meinung sein. aber hier entlockt ein recht gut vorbereiteter interviewer der techno-legende fundierte antworten, wonach nicht nur der hintergrund für die spekulationen um basic channel als das ergebnis der praktikabilität entlarvt, sondern auch seine klassische musikausbildung mit der dub-ästhetik verknüpft wird.
für techno-veteranen und -novizen gleichermaßen erkenntnisreich, und hier zu lesen.

(mit bestem dank an hyp nom aus dem technoforum.)

der „loudness war“ – entstehung, effekte, perspektiven

manch einer wird es beim musikhören von digitalen medien oder im radio, insbesondere bei produktionen aus dem mainstream-bereich, bemerkt haben: die konstant hohe lautstärke, mit der man beim werbeblock belästigt wird, hat seit einigen jahren auch einzug ins mastering der musik gehalten. damit lässt sich das gefühl erklären, dass die musik vielfach nur noch als klangbrei wahrgenommen wird, der gehör und -hirn schnell ermüden lässt, obwohl der inhalt zuweilen gar nicht so flach ist wie befürchtet.

auch beim umstieg auf das digitale djing begegnet man schneller der hyperkompression, als es einem lieb erscheinen vermag. wird wohl neben der haptik mit ein grund sein, weshalb leute wie ricardo villalobos oder zip nach wie vor auf das schwarze gold schwören. selbst jemand wie steve bug, der seit jahren traktor scratch benutzt, überspielt seine tracks lieber von vinyl anstatt die auf lautstärke optimierten dateien bei einem gängigen download-portal zu kaufen. beatport hat bspw. als platzhirsch einen gewissen mindestpegel definiert, den man – sofern einem am weiteren absatz gelegen ist – besser nicht unterschreitet.

mit den ursprüngen, den verschiedenen ausprägungen und den auswirkungen des gemeinhin als „loudness war“ bekannten unwesens hat sich earl vickers von der audio engineering society bereits im november 2010 in einem paper auseinandergesetzt. die frage, ob derartig behandelte musik (man schaue sich nur mal an, was ravels „boléro“ angetan worden ist, seite 6) tatsächlich zur ermüdung des gehörs und zum wegschalten animiert, wird zwar durch weitere mehrstufige studien beantwortet werden müssen. aber seine vorschläge zur (selbst-)beschränkung sind wenigstens diskutabel, bzw. sollten so schnell wie möglich schule machen.

das paper gibt es hier. es sind 27 seiten, technisches grundwissen kann für die lektüre nicht schaden. für mich besonders interessant waren die historische entwicklung (kapitel 2), die probleme (kapitel 3) und vor allem die empfehlungen (kapitel 5).

(via residentadvisor, die auf createdigitalmusic verlinkt haben.)

r.i.p. ralf regitz

über die toten nur gutes, daher bitte die geschichten um den loveparade-größenwahn, planetcom und dem umbau des e-werks in eine location, in der wahlparties und werbeagenturenhappenings gefeiert werden können, beiseite lassen. lieber daran denken, dass er mit dem planet und dem e-werk, so wie ich es noch kennenlernen konnte*, anfang/mitte der 1990er maßstäbe im berliner nachtleben (mit)gesetzt hat.

r.i.p.

via tagesspiegel.

*: hier einmal offiziell: mein erster clubbesuch fand am 31. mai 1997 statt. ort: e-werk, auf dem plan eine f-communications-nacht. gespielt haben: laurent garnier, elegia, lady b und woody. ich habe erst gegen 9 uhr früh begriffen, was den hype des ladens ausmachte, jedoch war meine erwartungshaltung ganz weit oben. vom tresor war ich zwei wochen später zunächst auch enttäuscht, aber das lag an der mickrigen besucheranzahl, vor der fumiya tanaka sich abmühen musste.

analoge maschinen in ableton live

dinge gibt’s, die sind so einfach, dass man selber nicht darauf kommt. zugegeben: ich hab mich bislang nicht auf die suche nach einer quelle gemacht, wo die samples der alten lieblinge mit der null in der mitte bereit zum download liegen und dachte, dass man dies alles mühsam mit gekauften vst-plugins realisieren müsste. stattdessen lässt sich mit dem drum rack und den wav-dateien so einiges anstellen, wobei mich natürlich die meinung der puristen interessiert, die noch die jeweiligen originale daheim zu stehen haben.

wer alles bequem auf dem laptop haben möchte, kann der anleitung auf ableton life folgen und anschließend tage- und nächtelang den klang der alten schule nachbauen.

so36 erhält live entertainment award

auch wenn das umfeld etwas befremdlich scheint, da der preis vom bundesverband der veranstaltungswirtschaft, dem verband der deutschen konzertdirektionen und dem magazin „musikmarkt“ verliehen wird (zusätzlich springt springt howard carpendale den besucher beim besuch der website von rechts an, aber wenigstens moderiert götz alsmann die ganze veranstaltung, das gleicht’s aus): gerade nach dem turbulenten 2009 in der oranienstraße muss die ehrung für den verein (gemeint ist der sub opus 36 e.v.) balsam sein. auf jeden fall haben sie es sich verdient, da sind die 20.000 euro preisgeld sicherlich gut investiert.

für kurzentschlossene gibt es heute abend (16. april 2010, 21 uhr) die dankeschön-party. eintrittspreis sind schlappe drei euro, es spielen:
live: casino gitano / the runaway brides / a pony named olga
djs: gloria viagra / ipek / el pogo / zwei teller eine wahrheit

ausführlicher nachlesen kann man das beim tagesspiegel.

p.s.: im zuge des frühjahrsputzes hat man auch gleich die so36-seite aufpoliert.
p.p.s.: obendrein hat man heute (23.04.2010) verlauten lassen, dass ein mietvertrag bis 2020 unterschrieben wurde.

mala-feature bei residentadvisor

einer der wichtigsten charaktere im dubstep-geschehen, dem man ohne weiteres glauben schenken mag, wenn er sagt, dass der hype um seine person ihm selbst am unangenehmsten ist, wird endlich die aufmerksamkeit zuteil, die ihm gerade jetzt auch zusteht. im vorfeld der veröffentlichung der zweiten deep-medi-compilation (katalognummern 6-10) und vor allem dem dreifach-vinyl auf dmz, dessen tracks seit einiger zeit unter anderem in seinen sets als dubplates rotierten und ab anfang mai endlich auch den normalen käufer erfreuen kann („return 2 space“ wird das werk heißen), bekommt man in dem artikel einen eindruck davon, wie er langsam, aber dafür stetig in die szene hineinwuchs.
im dazugehörigen interview wird auch schnell klar, weshalb er lieber im hintergrund seinen eigenen weg verfolgt und nicht wie skream, joker oder benga ins rampenlicht drängt – nebst dazugehörigem erfolgsdruck. auch wenn es schlechte nachrichten für diejenigen gibt, die auf eine nachpressung der alten dmz-platten gehofft hatten und ich mit seiner ansicht nicht übereinstimme, dass musik ihre bestimmte zeit hat und auch nur dann erhältlich sein sollte (ist schon paradox, wenn man ganz nebenbei zeitlose tracks geschaffen hat – jedenfalls könnte man „anti war dub“ noch in zehn jahren spielen), liefert er mit seiner bescheidenen art genügend gründe, ihn und seine labels weiterhin zu unterstützen.

nachzulesen ist das hier.