r.i.p. bridgette banks

zur transparenz: ich hab davon am samstagmorgen des 5. april 2025 auf dem flughafen in barcelona im wartebereich auf dem instagram-account von submerge gelesen und komme leider erst jetzt dazu, ein paar zeilen darüber zu verfassen. wollte dies nicht zwischen tür und angel machen.

sie war die frau hinter den kulissen. käufer*innen von detroiter vinyl kamen außerhalb von motor city eher mittelbar mit ihr in verbindung, während ihr bruder (mad mike) die idee des gesichtslosen techno mit militantem anstrich als botschafter in die welt trug.
das wäre ohne sie nicht möglich gewesen. bridgette war eine der tragenden säulen des submerge-vertriebs. noch deutlicher: ohne sie hätte es den nicht gegeben. ihr anteil an der weltweiten verbreitung der in vinyl geritzten botschaften ist nicht zu ermessen.

ich hatte anno 2017 bei meiner reise nach detroit die ehre, dass sie meine „betreuerin“ beim besuch des submerge-/ur-hauptquartiers am east grand boulevard war. damals war ein besuch nur per vorheriger anmeldung möglich. heute gilt das noch für exhibit 3000 (die ausstellung, die bridgette mit aufgebaut hat), jedoch nicht für den plattenladen.
zwar hilft es, wenn mensch mit etwas vorwissen über die rolle detroits bei techno anreist. dank bridgettes anekdoten wurde exhibit 3000 jedoch erst recht zum leben erweckt. wer in europa nur darüber gelesen hat, dass underground resistance neben dem label eine richtige gemeinschaft ist, in der sich jede*r im kollektiv um jede*n kümmert, kann sich vor ort überzeugen. bridgette war eine der personen, bei denen von beginn an kein zweifel besteht, dass sie die gute seele ist, die im hintergrund alles zusammenhält. mir ist selten so viel wärme, stolz, bescheidenheit und großzügigkeit in einer person begegnet. mein besuch in den heiligen hallen zählt wegen ihr zu den höhepunkten des urlaubs.

sie ist bereits am 14. november 2024 mit nur 60 jahren an krebs verstorben.

r.i.p. bridgette.

nachruf von cornelius harris bei submerge

[wuppertal / 05.04.2025] open ground: extended clubnight

auf den termin habe ich seit januar geschielt und mache nägel mit köpfen – unter der bedingung, dass mit dem flug aus barcelona alles klappt.

extended clubnight

freifeld
19:00 elke
20:30 calibre
22:00 klaus
23:30 sp:mc
01:30 calibre*
03:30 doc scott*
*: mit sp:mc als mc

annex
23:00 elke
01:00 klaus

nachbetrachtung

(die zeiten sind etwas glattgezogen)
rein: 19:30 uhr
raus: 2:30 uhr

und obwohl mein früher aufbruch anderes vermuten lässt: das war hervorragend und hat für die im ersten quartal nicht stattfindende reef mehr als entschädigt.

mein nach berlin-standards früher aufbruch lag mitnichten an mangelnder stimmung oder enttäuschten musikalischen hoffnungen. das wurde alles übererfüllt. viemehr lag es daran, dass mein flug von barcelona nach düsseldorf am samstagmorgen um 9:30 uhr ging. auf reisen bin ich lieber pünktlich an bahnhöfen oder flughäfen und deshalb in der nacht zuvor so unruhig, dass es nur zu etappenweisem schlaf reicht. heißt im klartext, dass ich zur zeit meines aufbruchs aus dem open ground fast 22 stunden wach war, nachdem ich in der nacht zuvor vielleicht drei, vier stunden und nachmittags im hotel eine halbe bis eine stunde schlaf abbekommen hatte. da mir selbst im wachen zustand nicht so der sinn nach menschenmassen steht und ich auch keine lust auf taktieren habe, an welchem ende der tanzfläche ich am ungestörtesten bin, war der aufbruch für mich nach sieben stunden im club völlig vertretbar. das flemings hotel in fußläufiger nähe bietet den standardmäßigen check-out um 12 uhr an, insofern war schlaf die beste alternative bis zur zugabfahrt gegen 11:15 uhr.

zu dem einen haar in der suppe: musikalisch hätte es für mich mehr sinn ergeben, die slots von elke und calibre im freifeld zu tauschen, weil er in der ersten stunde seines ersten sets konsequent ambient spielte (und das sehr gekonnt), elke jedoch durchaus abstrakt und dabei tanzbar. das hätte mit klaus im anschluss besser gepasst, der mit tracks aus seiner feder hin zu freejazz, dub, dancehall, hip hop und post-dubstep eine beispielhafte dramaturgie hingelegt hat. zwar war calibre in der letzten halben stunde seines ersten sets auch beinahe housig mit bass-schlagseite unterwegs, passte also auch. aber so blieb der eindruck, dass sowohl elke als auch calibre den abend für sich jeweils neu aufgebaut haben.
das ist jedoch jammern auf verdammt hohem niveau. ich war vielmehr erstaunt über die geduld des publikums, das wahrscheinlich weitestgehend den beipackzettel zur party gelesen hatte. das freifeld war jedenfalls beim ersten calibre-set schon gut halbvoll, ohne dass irgendwer dort anstalten machte, mehr partytaugliches fordern zu wollen.
das konzept ging an dem abend ergo völlig auf. bereits bei sp:mc war’s auf dem freifeld schon ordentlich voll. noch dazu setzte er konsequent auf garage, was nur was für mich ist, wenn die tracks etwas rauher sind. den leuten gefiel’s, also liegt’s eher an meinen präferenzen. ich fand mich in der zeit bei elke besser aufgehoben und ihn als mc bei calibre im anschluss super. da brannte die hütte mit drum&bass und nur in der hintersten ecke auf der bühne war noch platz, ohne dass ich mich vom durchgangsverkehr genervt gefühlt hätte. auch am eingang zum freifeld standen ein paar leute herum, die sich den hochbetrieb auf der tanzfläche nicht antun wollten. das tat der ausgelassenen, positiven stimmung jedoch keinen abbruch – leute forderten rewinds und bekamen sie. für mich haben anlage und raum im einklang mit der musik auf dem freifeld völlig ihre qualitäten ausgespielt. die räumlichkeit wurde mir insbesondere in den ersten vier stunden einmal mehr deutlich, die transparenz kam noch obendrauf und die bassfrequenzen hallen an unterschiedlichen stellen im körper wider.
den annex habe ich mir nach den beschreibungen als floor kleiner vorgestellt, aber der schlauch zieht sich bis ans ende der lobby und bietet locker platz für 200 leute. sowohl elke als auch klaus dort mit dubstep, wenn mensch das großzügig definiert. hätte ich auch schön gefunden, wenn das auf dem freifeld gelaufen wäre, aber das ergibt sich irgendwann mal sicherlich. das licht dort jedenfalls sehr spärlich, die bar kann durchaus zum nadelöhr werden, und obwohl der floor soundtechnisch nicht so üppig wie das freifeld ausgestattet ist, wirkt er nicht stiefmütterlich. die für’s open ground typischen absorber sind auch dort an den wänden verbaut und die zu beschallende fläche um einiges kleiner als im freifeld, so dass auch schon weniger viel hilft.

womit ich bei der betrachtung des open ground als club an sich angekommen wäre, wo es bei mir aufgrund der distanz (und zugegebenermaßen: auch bequemlichkeit) nur zu seltenen momentaufnahmen kommt. ich habe mir nach dem samstag jedoch vorgenommen, mir den club wenigstens halbjährlich mal anzuschauen und ertappe mich auch dabei, wie ich deren website quasi täglich auf neue termine aktualisiere.
um etwas selbstreferentiell zu werden: in der nachbetrachtung meines ersten besuchs hatte ich bemängelt, dass die termine zu kurzfristig bekannt gegeben werden (mitte märz 2024 wusste mensch nur für die nächsten fünf wochen bescheid). das hat sich stark verbessert: am heutigen 7. april 2025 kann mensch bis ende mai 2025 planen. und sogar zwei juni-dates stehen fest: darunter am 14. juni mit der abyss als reef-ableger ein weiteres gefundenes fressen für bassliebhaber*innen, wo ich aller voraussicht nach leider nicht kann. und das wird der erste weekender bis in den sonntag hinein, was eine sehr mutige ansage ist. auch der calibre-termin stand seit januar fest und machte den connaisseur*innen den mund wässrig. da wird die social-media-präsenz sowie die vorarbeit von ihm und künstlerisch artverwandten acts auch hineingespielt haben. das alles hat im zusammenspiel offensichtlich sehr gut funktioniert und auch ein internationales publikum angesprochen: ich habe jedenfalls einige leute englisch und holländisch reden hören.
bei techno-bookings wird ähnlich verfahren: dvs1 oder freddy k sind auch im ruhrgebiet sichere treffer und haben den club im vergangenen jahr laut reddit-postings sehr gut gefüllt. letzterer bestreitet ende mai sein erstes marathon-set im freifeld – zugleich gibt’s 20 jahre tectonic im annex. das steht seit wenigstens mitte märz auf der website und erleichtert die vorausplanung über zwei monate ungemein. insbesondere bei solchen bass-music-nächten merkt mensch, wofür ort und anlage ausgelegt sind.
ein weiterer punkt, der für die klare linie spricht: residents. die sind zwar zur hälfte aus berlin, jedoch im wechsel alle zwei monate im line-up zu finden und teilen allesamt die über techno hinausgehende musikalische vision. dazu komplementär mittlerweile und ein beleg für das fahren auf lange sicht: die donnerstage, die bereits um 20 uhr beginnen, um mitternacht vorbei sind und keinen eintritt kosten. das freifeld bleibt da geschlossen, es wird die lobby mit musik aus dem annex beschallt, wo sich zwei djs aus dem lokalen umfeld ausprobieren können. ergo nachwuchsförderung, was im idealfall auch in örtliche residents münden kann.
apropos lobby: dort wurde nachverdichtet. neben den holzbänken und den betonquadern stehen jetzt auch ledercouches an den fenstern zum hof (also dem raucherbereich). macht das alles gleich viel gemütlicher. mittlerweile hat das open ground durch vereinzelte tags und aufkleber sowas wie eine club-patina angesetzt, die led-röhren leuchten nicht mehr ausschließlich orange, sondern wechseln die farben. und wenn mehr als 500 leute dort sind, stimmt auch die atmosphäre.
auch am organisatorischen wurde gedreht: die auswahl der gäste findet jetzt früher, am oberen ende der treppe statt. selekteurin sowie security stehen unter einer überdachung, sie erklärt einem die awareness-regeln, die auch nochmal an der garderobe stehen. die security ist gründlich, aber dabei auch kommunikativ. das alles hat den vorteil, dass mensch nach absolviertem abtasten einfach nur runtergehen muss. dort ist die kasse jetzt vor der (nach wie vor kostenlosen) garderobe, selbige ist zum kiosk aufgestockt. dazwischen noch das telefon abkleben lassen. hat zwar einen beim zweiten calibre-set auch nicht vom filmen abgehalten, aber die unverbesserlichen gibt es immer. des einen freud, des anderen leid: abgesehen von der lobby hat mensch im open ground keinen empfang. freud, weil die leute auf den tanzflächen nicht damit beschäftigt sind, ihre social-media-kanäle zu aktualisieren und somit eher im augenblick sind. leid, weil shazam dazu verdammt ist, im offline-modus schnipsel zu sammeln, und mensch selbst auf die hoffnung, dass darunter was identifizierbares ist.
das personal: nach wie vor ungemein freundlich, zwischen generation x und z alles vertreten, beim publikum kam ich mir als mittvierziger nicht zu alt vor. das alles auch bodenständiger und nicht so elitär, wie es die berliner*innen gerne mal vor sich hertragen, was auch mal erfrischend ist.

wie beim berghain, das auch auf die langzeitperspektive gesetzt und damit gewonnen hat: so ein abend wird definitiv dazu beitragen, dass die mund-zu-mund-propaganda auch um das open ground herum gedeiht – und auch hoffentlich dazu, dass calibre öfter einen abend kuratieren darf. ich würde bei einem ähnlichen programm definitiv wieder auf der matte stehen.

wenn sich solche nächte wiederholen, hat das open ground absolut potential, was großes und zu einer etwas zentraler gelegenen alternative zum berghain zu werden. diesem ist der eskapismus nach wie vor nicht zu nehmen. aber wenn ein anspruchsvolles booking auf solch offene ohren und quasi ideale technische gegebenheiten trifft, kann das für die connaisseur*innen, die nicht mehr party um jeden preis haben möchten, zu einer der ersten adressen werden.

notierte tracks (die horizontalen striche markieren die grenze zwischen dem ersten und dem zweiten set)

elke
emissive – resounding yes
iya shillelagh – regenaration

pearson sound – slingshot
pearson sound – hornet

calibre
calibre – colby park
calibre – a river alone

calibre – i don’t care wot u say

klaus
mount kimbie – adriatic (klaus remix)
john surman & jack dejohnette – mysterium
mobb deep – reach

mala – conference

[barcelona / 29.03.2025] laut: selectors

anika kunst hat im berghain bereits ihr können unter beweis gestellt, hier nun auf heimischem boden, flankiert von einem veteran. und ein intimer rahmen noch dazu.

selectors
anika kunst
ben sims

start: 23:59 uhr
ende: 05:00 uhr

nachbetrachtung

rein: 0:30 uhr
raus: 4:30 uhr, wobei das nach sommerzeit ist. es waren also netto drei stunden.

kurzfazit voran: eine kleine, nach außen hin unscheinbare keimzelle für techno (zumindest am wochenende) mit gutem sound und passender ästhetik. mensch muss sich halt vorab mit dem line-up beschäftigen, da es „nur“ den einen floor gibt. anika kunst für mich abwechslungsreicher als ben sims, der jedoch schlicht und ergreifend abgeliefert hat.

ansonsten wird’s schwierig, das nitsa nicht ständig als vergleich heranzuziehen. inhaltlich habe ich mich dort in der nacht zuvor besser aufgehoben gefühlt, allerdings war mir auch vorab klar, was mich bei ben sims erwartet. grundsätzlich ist das laut der für mich wesentlich sympathischere club. genauso wie das nitsa zwar kein grund, extra deswegen nach barcelona zu fliegen, aber wenn ich das nächste mal an einem wochenende hier bin, würde ich wieder hin.
nach außen hin sehr unprätentiös. ich war aber auch wieder zu früh da – kurz nach mitternacht war noch nicht geöffnet, kurz vor 0:30 uhr hingegen schon. draußen kein schild, keine leuchtreklame, lediglich eine geöffnete tür mit security davor lässt darauf schließen, dass hier ein club ist. schon mal sympathisch.
die schlange beginnt dann drinnen im gang vor der kasse, was den lärm von der straße minimiert – clever gelöst, da der club mitten in einem wohngebiet liegt. die wartezeit lässt einem genügend zeit für die vorbereitung: erstmal das ticket bereit haben. die frage nach eben diesem war auch die einzige, die mir vom türsteher gestellt worden ist (ich hatte am donnerstag nach einigen anläufen glück beim wiederverkauf). da das laut nach angaben von residentadvisor für 230 leute ausgelegt ist und menschenaufläufe vor der tür vermieden werden wollen, gibt es keine abendkasse, stattdessen tickets im vorverkauf. was dazu führt, dass sich die besucher*innen idealerweise vorab mit dem line-up beschäftigt haben. zweitens (für die kälteren monate relevant) kann mensch schon mal die nicht benötigten anziehsachen bereitlegen: die kasse ist zugleich garderobe. und hier sehr fair: keine extrakosten, scheint im eintrittspreis inklusive zu sein.
hat mensch das absolviert, geht’s nach vorzeigen des stempels an einem weiteren türsteher an einer brandschutztür vorbei, und durch noch eine weitere steht mensch dann im club. eine art schleuse also, wobei faszinierend ist, dass keine bassdrum nach draußen dringt, wenn beide türen geschlossen sind.

das laut gibt es seit 2017. erwähne ich deshalb, weil die säule im gleichen jahr eröffnete und sich der vergleich dazu förmlich aufdrängt. ähnliche dimensionen, die gitter links und rechts oben erinnern sehr an die dortige ästhetik, der schmale schlauch mit dem dj-pult am hinteren ende ebenfalls. das steht erhöht auf einer bühne, djs somit leider etwas exponiert. organisatorisch jedoch logisch: im laut finden auch konzerte statt, daher muss im wechsel zwischen beiden betriebsarten nicht groß umgebaut werden. und würde das dj-pult vor der bühne ebenerdig stehen, fiele wertvoller platz auf der tanzfläche weg. insofern lässt sich mit der lösung leben.
schade ist jedoch, dass sich alles an licht auf die bühne konzentriert. nun ist der raum klein genug, dass die scheinwerfer von dort aus auch in richtung publikum strahlen können. begünstigt aber leider auch das tanzen in eine richtung. ein, zwei paar kleine scanner im publikumsraum, dafür weniger bühnenbeleuchtung fände ich besser. sound kommt aus einem line-array von l acoustics – etwas schrill, wenn es noch nicht voll ist, bei hochbetrieb wesentlich besser. da die räumlichkeiten sehr übersichtlich sind und die sperrstunde auch hier fünf stunden party bedeutet, kommt das laut im vergleich zum nitsa sogar noch schneller auf betriebstemperatur. die spanier*innen lassen sich also auch hier nicht lange bitten, mir war’s ab 3 uhr auf der tanzfläche zu voll bzw. ich wie in berlin auch vom durchgangsverkehr am rand genervt.
auch hier: keine abgeklebten kameras. filmen, selfies etc. sind also kein problem, geschieht jedoch nicht so exzessiv wie bei konzerten. das laut beschäftigt jedoch einen fotografen, der den ganzen abend schwer mit filmen oder fotografieren mit mini-stativ beschäftigt war. ich weiß nicht, ob das heutzutage für die visuelle präsenz in den sozialen medien wirklich notwendig ist – eher leistet das alles der entwicklung vorschub, die entsprechenden momente zu inszenieren, anstatt sich einfach nur dem fluss der party hinzugeben. ergo: für mich eher unnötig, gar schädlich.
publikumstechnisch auch hier männerüberschuss, außerdem das treffen der generationen: die älteren erfreuen sich an den sounds, die sie vor zwei jahrzehnten schon feierten, die jüngeren entdecken es für sich und tanzen auch gerne mal im eigenen zirkel. zeichen der zeit eben. allerdings sind die spanier*innen sehr offen und auch aufmerksam. kaum saß mal eine dame auf den echt sehr bequemen sofas neben der bar, wurde gefragt, ob alles okay sei. das war ab kurz nach 3 uhr auch mein bevorzugter aufenthaltsort. auf der tanzfläche kam es mir zu der zeit so vor, als ob territorium erobert oder wenigstens verteidigt werden müsse – nicht mein metier.

anika kunst war meinem eindruck nach gegen viertel nach eins gut warmgelaufen und zog die zügel mit tooligen, hin und wieder dubbigen tracks kontinuierlich an. nach wie vor konsequent mit vinyl und auch langgezogenem mixing. positiver eindruck bestätigt.
ben sims spielte (demokratisch fair aufgeteilt ab 3:30 uhr) perkussiv dichter, aber das arbeiten mit tools war ihm schon immer zu eigen. legte auch tempotechnisch ein bis zwei kohlen drauf. alles im dienst der party, mir steckte jedoch am samstag tagsüber das nitsa noch etwas in den knochen – sprich: ich kam da nicht aus dem knick. dank abendlichem nickerchen und kaffee ging das nachts, jedoch wollte ich den sonntag bei toller wetterprognose nicht auch noch verschwenden. auch wenn tanzen im bereich am hinteren ende der tanzfläche vor der bar (es gibt übrigens club mate und fritz kola – weiterer sympathiepunkt gegenüber dem nitsa, das auf erzeugnisse von red bull setzt bzw. sich sponsorn lässt) möglich gewesen wäre, lieferten sowohl set als auch füllgrad für mich keine gründe, das noch in die länge ziehen zu wollen.
stattdessen machte ich mir den vorteil zu nutze, dass die metro in barcelona wie in berlin auch in der nacht von samstag zu sonntag durchgängig fährt und dabei auch ähnlich frequentiert ist. heißt: ich war um 5:30 uhr im bett und tagsüber rechtzeitig fit genug, um bei 20 grad am strand lesen zu können. für meine begriffe also mit dem „frühen“ aufbruch alles richtig gemacht.

notierte tracks

anika kunst
sciahri & hertz collision – axis mundi
robert hood – protein valve (edit 2)

[barcelona / 28.03.2025] nitsa club: palms trax / brieela / sandwell district / dj fra

zur transparenz: ich habe das veröffentlichungsdatum auf den 26. märz 2025 zurückdatiert, um die chronologisch absteigende reihenfolge bei den postings beizubehalten. eigentliches veröffentlichungsdatum ist der 28.03.2025, kurz bevor es losgeht.

„end beginnings“ – das erste album von sandwell district seit „feed forward“ ist soeben veröffentlicht und den schnipseln nach zu urteilen ziemlich gut geworden. palms trax ist mir aus einem kürzlichen resident-advisor-podcast als sehr sympathischer connaisseur in erinnerung geblieben. ich hatte bereits im berliner winter das datum im wörtlichen sinne auf dem schirm gehabt, mich jedoch auf das morgige datum (lustigerweise um die ecke vom nitsa) konzentriert. die plakatwerbung hat mir den termin beim heutigen stadtbummel nochmal in erinnerung gerufen. was zeigt: sowas wirkt.
ich hoffe, meine kondition spielt mit. aber aktuell überwiegt die neugierde.

nitsa
00:30 brieela
03:00 palms trax

astin
00:30 dj fra
02:00 sandwell district

nachbetrachtung

rein: 0:30 uhr
raus: 5:00 uhr

kurzwertung: musikalisch gut (dj fra) bis sehr gut (der rest), der club an sich schön verwinkelt, aber wegen der omnipräsenten security und auch wegen des publikums habe ich mich ziemlich ans fabric vor zehn jahren erinnert. bei gutem booking und mangel an alternativen würde ich das nitsa schon nochmal besuchen. aber extra deswegen nach barcelona würde ich definitiv nicht.

ich war sogar kurz nach mitternacht vor ort, weil es laut residentadvisor um 23:59 uhr losgehen sollte. da war schon eine kleine schlange, aber die security koordinierte sich noch. die zettel mit dem ablauf habe ich erst beim reingehen gesehen – und auf denen stand in der tat 0:30 uhr als anfangszeit. in der halben stunde galt das prinzip, das namhafte berliner clubs praktizieren: eine warteschlange entstehen lassen, so dass vorbeistreunende leute denken, dass hier etwas los ist. da sich das nitsa in einem ausgehviertel befindet, ist das auch legitim. als jemand, der öffnungszeiten etwas wörtlich nimmt, war das auf der einen seite mit warten verbunden, auf der anderen war ich unter den ersten 20 leuten im club (personal ausgenommen).

das nitsa gibt’s schon 30 jahre (seit 1994), merkt mensch an der professionalisierung. hat alles etwas von einer sehr eingespielten maschine. der techno-floor (also astin) im erdgeschoss mit niedrigerer decke, licht in blautönen, mir zu schriller anlage und djs auf eigener bühne. die kann normalerweise für konzerte genutzt werden, djs werden dadurch für mich unnötigerweise inszeniert. erst recht, weil sich das licht auf sie konzentriert. es fehlen jedoch sitzgelegenheiten – die gibt es erst, wenn die bar auf der empore rechts von der bühne geöffnet hat. der bereich war jedoch abgesperrt. andererseits gibt es da beim warm-up auch wenig federlesen – leute gehen erst zur bar, dann zur tanzfläche.

toiletten gibt’s auch nur im erdgeschoss, leute müssen also die treppen vom nitsa herunter nehmen. da gibt’s jedoch mehrere möglichkeiten, mensch darf sich halt nur nicht verlaufen.
das nitsa fand ich als floor (wirkte wie ein ehemaliger ballsaal) wesentlich schlüssiger. zwar war auch hier die galerie versperrt (und jeweils bewacht), aber das war wegen des für freitag geringeren publikumsandrangs auch verständlich. und nebenbei: leer war’s wirklich nicht.
auch der nitsa-floor hat eine bühne, aber das dj-pult steht ebenerdig davor. die bühne an sich war (richtig geraten) gesperrt und bewacht, aber wenn’s mal richtig voll wird, kann ich mir vorstellen, dass die für das publikum freigegeben wird. den sound fand ich dort auch wärmer, aber das mag an der größeren menge an verbautem holz gelegen haben.
was der astin-floor an sitzgelegenheiten vermissen lässt, gibt’s hier reichlich. stets in nähe der tanzfläche, so dass sich schnell wieder ins geschehen eintauchen lässt.
das licht konzentriert sich hier zwar auch auf die bühne, weil dort auch die visuals (wie der rest des lichts in der ersten stunde auf autopilot) laufen. trotzdem hat es mich mit fortschreitendem abend positiv überrascht, wie auch das publikum stellenweise akzentuiert worden ist.

apropos: eine türpolitik gibt’s quasi nicht. auch keine abgeklebten kameras auf smartphones. filmen und fotografieren nahm jetzt zwar nicht überhand, aber an jedem zeitpunkt hätte sich irgendwer finden lassen, der*die das geschehen gerade filmt oder selfies mit der bezugsgruppe macht. gefühlt 70% cis-typen, darunter erfreulicherweise einige schwule. und für mich okayer altersdurchschnitt (was heißt, dass ich mich nicht wie der älteste im raum fühlte).
auch erfreulich: es gibt einen awareness-stand vor dem gang zum raucherbereich. weiterer pluspunkt: das rauchverbot wird konsequent durchgesetzt, e-zigaretten ausgenommen. jedoch sind die olfaktorisch für mich auch weniger nervig. der rest kann sich im üppigen raucher*innenbereich sammeln.
was nervte: die auf „harter berliner winter“ eingestellte klimaanlage. ich habe meine jacke erst um 3 uhr ausgezogen. im sommer wahrscheinlich gold wert.

ansonsten sind sich die spanier*innen der tatsache bewusst, dass partys in dem rahmen endlich sind. quasi unausgesprochener deal zwischen djs und publikum: ihr kommt rechtzeitig und auf die tanzfläche, ich lege entsprechend auf. ergo kein langes federlesen beim warm-up, wenn der zeitrahmen auf sechs stunden begrenzt ist. bzw. das warm-up wie im falle von dj fra nur auf anderthalb stunden.

womit ich bei der musik wäre: brieela hat für mich im direkten vergleich zu dj fra die nase vorn, weil inhaltlich stringenter. sie schlug eine brücke von house über techhouse zu acid house, wohingegen dj fra eher melodisch war.
sandwell district sind für mich im foto-finish um eine nasenlänge gegenüber palms trax voraus, was aber an meiner techno-sozialisierung und der freude daran liegt, dass sie als dj-team nach wie vor super harmonieren. wenn es mir mal zu bleepig wurde, fing palms trax (melodischer house, manchmal mit italo-anleihen, manchmal auch acid house, durchaus auch mit den klassischen elementen, um die leute bei laune zu halten – und nein, shazam hat nichts erkannt) das super auf. ich hatte kurz vor 5 uhr jedoch den eindruck, dass das für mich wesentliche schon gelaufen ist und bin daher los.

notierte tracks

dj fra
james ruskin – the divide

brieela
tom carruthers – box slam

sandwell district (wobei sich gerade die klassiker davon wie eigene edits angehört haben)
the martian – star dancer
kraftwerk – uran
millsart – step to enchantment (stringent)
steve poindexter – work that mutha fucker
nastia reigel – lilies
christian wünsch – binary computation

adolescence [netflix]

auch wenn mir der sinn momentan lieber nach unterhaltung mit leichten thematiken steht, lande ich doch immer wieder bei schwer verdaulichen dingen. andererseits kann ich bei handwerklich so herausfordernden werken wie diesem nicht widerstehen – konkret war das hier eine szene pro episode ohne schnitt.
wenn das dann noch so beispielhaft umgesetzt wird wie hier und in mehrerer hinsicht fragen aufwirft, die gesamtgesellschaftlich angegangen werden müssen, ist mir das mehr als recht. eigentlich wollte ich mir die miniserie in zwei abschnitte à zwei folgen einteilen, am ende geschah es in einem rutsch.

auch wenn ich den inhalt nur grob wiedergeben werde: der rest ist nicht spoilerfrei – gerade was das aufzeigen der strukturellen probleme und die parallelen zu meiner sozialisierung angeht. wer sich die serie zunächst anschauen und dann nachlesen möchte, warum sie bei mir nachhaltigen eindruck hinterlässt, liest nach dem horizontalen strich am besten nicht weiter.

die wertung möchte ich dennoch vorwegnehmen: ein meisterwerk, das alles andere als angenehm anzuschauen ist und mehr fragen aufwirft als antworten zu geben.


adolescence

inhalt

der 13-jährige jamie wird zu beginn wegen des mordes an einer mitschülerin festgenommen. im weiteren verlauf sehen sich familie, therapeut*innen, lehrer*innen und auch gleichaltrige mit der frage konfrontiert, was wirklich und vor allem weshalb diese tat geschehen ist.

umsetzung

vier folgen, zwischen 51 und 65 minuten lang und stets in einer einstellung ohne schnitt gedreht. das ist die „handwerkliche herausforderung“, von der ich eingangs sprach. selbst bei inhaltlich für mich eher mittelprächtigen ergebnissen wie „victoria“ (jetzt ist es raus) habe ich respekt vor der organisatorischen leistung, bei der das timing für ereignisse sowie die personen vor und erst recht hinter der kamera sitzen muss.

zugegeben: ich war vielmehr mit der handlung bzw. der darunterliegenden thematik beschäftigt, als dass mir eventuelle kontinuitäts- oder logikfehler aufgefallen wären. in der hinsicht werden ausgewiesene analyst*innen sicher etwas ausfindig machen. die durch den one-take-ansatz präsente unmittelbarkeit hatte mich jedenfalls von der ersten folge an. manche abschnitte lassen auch etwas durchatmen zu, aber grundsätzlich findet sich in jeder einzelnen episode eine verdichtung, die erstmal mental bewältigt werden muss.

sensationelle kameraarbeit, auch wenn mensch in manchen passagen mit wackeliger handkamera zurechtkommen muss. das ist dann jedoch der handlung angemessen. der übergang von gimbal-gestützter stabilisierung zu einer drohnen-fahrt mit rückkehr zur stabilisierten perspektive am ende von episode 2 sowie die in der fast kammerspielartigen episode 3 um die beiden protagonist*innen rotierende, jedoch in entscheidenden augenblicken bei den darsteller*innen verweilende kameraführung sind nur zwei beispiele für das schlicht wahnsinnige niveau, auf dem hier gearbeitet worden ist.

damit habe ich noch nicht mal von den schauspielerischen leistungen angefangen. stephen graham spielt nicht nur den familienvater eddie miller, sondern hat die vorlage gleich mit entwickelt. letzteres für ihn eine premiere. christine tremarco als mutter manda und amelie pease als jamies schwester lisa: ebenfalls großartig. erin doherty spielt die psychologin in episode 3, die das zweitgutachten für jamie erstellen soll – war leider bislang nicht auf meinem schirm, wobei ich „the crown“ auch (noch) nicht gesehen habe. ich würde mich jedoch nicht wundern, bzw. sehr freuen, wenn sie künftig angebote für ähnliche hochkaräter-produktionen hätte.
womit ich bei owen cooper wäre, der abgesehen von einem theaterstück als jamie seine erste hauptrolle in einer serie absolviert und mich absolut sprachlos zurücklässt. dieser spagat zwischen dem tief verletzten männlichen ich (das eigentlich noch im entstehen begriffen ist), dessen wut bei entsprechenden triggern unkontrolliert ausbricht und genau in diese lücke trifft, ob mensch ihn noch als kind oder heranwachsenden sehen soll (was für mich eine der fragen ist, welche die serie offen lässt): ein absoluter glücksgriff, was das casting angeht. mit jetzt schon entsprechendem hype, bei dem er hoffentlich gut begleitet wird. auch er empfiehlt sich nachhaltig für charakterrollen, wobei ich hoffe, dass er nicht auf dieses sujet abonniert bleiben wird.
grundsätzlich: bis in jede nebenrolle toll besetzt. die genannten beispiele stechen heraus, verdient hätte jede*r eine nennung.

für wen und weshalb überhaupt ist „adolescence“ pflichtprogramm?

ich bin immer noch vom ersteindruck geprägt, daher potentiell überschwänglich: für jede*n.
insbesondere jedoch: für eltern, lehrer*innen, sozialarbeiter*innen, entscheidungsträger*innen in sozialen medien, sozial-, medien- und familienpolitiker*innen, polizist*innen. allem voran jedoch männer und jugendliche ab der altersfreigabe (die bei 12 jahren liegt). kann bzw. sollte auch als familie angeschaut und diskutiert werden, setzt jedoch eine offene diskussionskultur voraus.

stephen grahams motivation für das drehbuch bestand aus zwei voneinander unabhängigen vorfällen in england, bei denen ein junge ein mädchen erstochen hatte und der daraus resultierenden frage, was beide zu der jeweiligen tat getrieben hat.

es liegt auf der hand, eine solche serie mit klischeehaften geschlechterbildern zu inszenieren: gewalttätige vaterfigur mit substanzmissbrauchsproblemen und einer mutter, die das ganze aufgrund von finanzieller abhängigkeit erduldet und / oder schadensbegrenzung betreibt. die spitze des eisbergs an toxischer männlichkeit also.
eben diese sowie deren auswirkungen ist das hauptthema der serie. jedoch ist es deren großes verdienst, indem sie zeigt, dass sich unter dieser spitze wesentlich mehr verbirgt, das sich nicht in physischer gewalt, noch nicht mal in vermeintlicher emotionaler abwesenheit äußern muss. allem anschein nach sind die millers eine funktionale familie mit eddie als familienoberhaupt, der seine vaterrolle in jeglicher (also auch emotionaler) hinsicht ernstzunehmen scheint. erst im verlauf werden die mikroskopisch klein erscheinenden fehler deutlich, bei denen eddie jamie nicht die positive spiegelung gegeben hat, die er gebraucht hätte und die zusammen mit seiner schmächtigen erscheinung, damit der vermeintlichen unattraktivität für mädchen, sowie dessen außenseiterrolle in der schule (inklusive mobbing) riesige krater der unsicherheit reißen. daher rührt der titel, weil das in jamies lebensphase passiert, in der jeder junge auf der suche nach dem ist, was männlichkeit überhaupt ausmacht und mit der disposition anfällig für schädliche einflüsse aus der manosphere ist.
da „adolescence“ es sich und den zuschauer*innen jedoch nicht leicht macht, gibt es auch das gegenbeispiel: adam bascombe (sohn des detective inspectors) ist ebenso zielscheibe des spotts der mitschüler und beschränkt sich in unterhaltungen mit seinem vater normalerweise nur auf das nötigste. er nimmt jedoch die entscheidende rolle in der vermittlung der codes ein, in denen die jugendlichen miteinander kommunizieren und liefert damit die begründung für das tatmotiv. die demütigungen nimmt er scheinbar ungerührt hin. indirekt wird jedoch deutlich, dass er der situation zu entfliehen sucht, indem er unwohlsein vortäuscht, um nicht zur schule zu müssen. auch hier scheint das vertrauen in die eltern alles andere als ausgeprägt zu sein. ausgangspunkt für weitere offene fragen: wie lange hält adam das noch aus? ist er von natur aus resilienter als jamie? sucht er sich positivere vorbilder?

die notwendigkeit zur differenzierten betrachtung der einzelnen beteiligten wird also deutlich, jedoch auch die hoffnungslose überforderung vieler bezugspersonen. bei den millers wird jamie ein computer gekauft, nachdem er das interesse an kunst verliert (womit er seinen vater als idol eh nicht beeindrucken kann). und die eltern lassen ihn bis spät in die nacht gewähren, ohne eine ahnung davon zu haben, womit er sich dort beschäftigt. abends mit freunden abhängen und erst gegen 22 uhr wiederkommen scheint ebenfalls die regel zu sein.
die schule macht den eindruck einer verwahranstalt. lehrer*innen bestreiten den unterricht eher mit videos als im dialog mit schüler*innen. und der beschränkt sich ohnehin vielmehr darauf, die meute im zaum zu halten. ein auge für das talent oder die nöte der einzelnen: fehlanzeige. sozialarbeiter*innen gibt es, aber auch sie sind der situation nicht gewachsen. zwei tage nach dem mord an einer mitschülerin keine psycholog*innen vor ort zu haben und unterricht nach plan zu machen: grob fahrlässig.
männliches fehlverhalten bzw. verbalausfälle gegenüber lehrerinnen und schülerinnen werden nur pro forma geahndet, jedoch nicht ernsthaft. ein idealer nährboden also, auf dem die ideen eines andrew tate, sich frauen durch manipulation und / oder erniedrigung untertan zu machen, gedeihen oder gleich in die tat umgesetzt werden können.

überhaupt: die männliche präsenz und deren ringen um dominanz ist allgegenwärtig. für mich insbesondere deutlich durch das penetrante auftreten des wärters gegenüber briony ariston (der psychologin) in der jugendpsychiatrie in episode 3. auch durch detective bascombe, der durch misha (seine kollegin) lernt, dass künftig immer der täter zuerst genannt wird, jedoch das weibliche opfer erst nachrangig kommt. und definitiv nicht an letzter stelle: jamies vater, der als kind physische gewalt erfuhr und es bei seinen kindern insofern besser gemacht hat, als dass sich seine wutausbrüche auf dinge richteten. aber eine selbstregulation der gefühle sucht mensch bei ihm vergeblich bzw. wird dies (ganz deutlich in der vierten und letzten episode) auf manda und auch lisa ausgelagert. seine vorhandene physische stärke und präsenz bietet die grundlage für jamie, dem nacheifern zu wollen. was in der schlüsselepisode 3 überdeutlich wird.

womit ich beim für mich unvorteilhaften teil bin, daher in aller deutlichkeit: dieses toxische männlichkeitsbild ist auch teil von mir und der grund, weshalb „adolescence“ bei mir – und hoffentlich vielen (werdenden) vätern sowie jugendlichen – lange nachhallen wird. auch ich hatte in dem alter bereits einen computer und – zusätzlich zu mtv nachmittags vor dem fernseher – sehr viel zeit davor verbracht, jedoch keinen internetanschluss (sehr wohl aber „wolfenstein 3d“). eine anfälligkeit für misogyne auswüchse eines andrew tate oder anderer derartiger spinner wäre in jedem fall gegeben gewesen.
objektive oder empfundene schwäche durch wutanfälle gegenüber vermeintlich schwächeren kompensieren und sich so über sie stellen. aufgestaute frustration und ängste weitestgehend für sich zu behalten. sich keine verletzlichkeit zuzugestehen und mit einem an wahn grenzenden eifer nach personen zu suchen, die einem die bestätigung zuteil werden lassen, die in frühen jahren gefehlt hat oder erschüttert wurde und damit keine chance hatte, zu einem selbstverständlichen teil des ichs zu werden. dabei auf schwache momente oder charaktere zu bauen. oder auf vermeintlich wohlmeinende menschen, die einen inklusive aller offenen wunden zu verstehen scheinen und damit umzugehen wissen. all das ist für mich nicht unbekannt, sogar ein leider nachhaltiges muster, an dessen überwindung ich zu knabbern haben werde.
vor dem hintergrund ist es für mich begreifbar, weshalb ich bis zum ende der dritten episode gehofft hatte, dass der falsche verdächtigt wird. und auch darüber hinaus mit jamie mitfühlen konnte, als seine zaghafte sicherheit, endlich gesehen worden zu sein, erneut erschüttert wurde. und das, obwohl deutlich wird, dass das misogyne weltbild bei ihm tiefe schneisen geschlagen hat. dies macht die dritte episode mal abgesehen vom grandiosen schauspiel für mich zum lackmustest zur bestimmung des eigenen standorts. und führt zu einer weiteren offenen frage: hätte irgendetwas die tragödie verhindern können oder wäre es früher oder später eh passiert?

die serie kommt vor dem hintergrund dessen, dass einige dieser besagten spinner im allgemeinen rechtsdrall die uhr zurückdrehen und wieder beim patriarchat landen wollen, genau zur richtigen zeit. sie hält ihm sowie dessen extremsten auswüchsen den spiegel vor und zwingt zuschauer*innen geradezu, sich mit der eigenen rolle in diesem gesellschaftlichen gefüge auseinanderzusetzen. ein gefüge, das sehr in richtung individualisierung – polemisierend: das recht des stärkeren – driftet und das gemeinschaftliche aus dem blickfeld verliert. es liegt auf der hand, dass sich bei solchen von allgemeiner unsicherheit geprägten umbrüchen so viele fragen ergeben, dass deren beantwortung auf sich warten lässt. fragen, die in der kernfamilie gestellt und auf augenhöhe verhandelt werden sollten. es ist brandgefährlich, dass die manosphere im gleichschritt mit rechtsaußen mit vermeintlich einfachen lösungen den raum besetzen will, in dem jungs sich zurechtfinden wollen.

„adolescence“ passt damit sehr in den zeitgeist. ich hoffe stark, dass die serie in der breite diskussionen anstößt. sie ist viel mehr als eine schauspielerische und technische meisterleistung. mich hat sie mit meinen mustern toxischer männlichkeit konfrontiert und gezeigt, dass ich nur einen teil des weges absolviert habe. es sollten also gerade die herren der schöpfung genau hinsehen.

herausforderndes, erschütterndes, vielschichtiges fernsehen, das komplexität statt einfacher antworten vermittelt. schlicht und ergreifend: großartig.

[berlin / 15.03.2025] berghain: klubnacht

kaum zu glauben: der erste „richtige“ sonntag für mich in diesem jahr. marie montexier für mich leider zu früh, aber frühstück mit rifts sollte klargehen. nd ist leider erkrankt und wird durch david elimelech vertreten.

klubnacht

berghain
00:00 measure divide
04:00 arthur robert live
05:30 mary yuzovskaya
09:30 rifts
13:30 quiet husband
17:30 mari sakurai
21:30 françois x
00:30 len faki

panorama bar
00:00 karine b2b shakolin
04:00 marie montexier
08:00 mandel
12:00 mike starr
16:00 david elimelech
20:00 gene on earth
00:00 paquita gordon

nachbetrachtung

rein: 9:30 uhr
raus: 22:00 uhr

und nach apple habe ich mein bewegungsziel zu 200% erfüllt (540 kcal empfohlenes bewegungsziel, am ende standen mehr als 1200 auf der uhr). das ist doch ein erfolgreicher abschluss des wochenendes.

hatte mir eine entspanntere klubnacht erhofft und sie zu weiten teilen auch bekommen. bei meiner ankunft gab’s keine schlange, die entwickelte sich erst nachmittags. entsprechend lag der höhepunkt des füllstandes so zwischen 17 und 21 uhr. bei gene on earth wurde es in der panorama bar übersichtlicher (wobei sein bassline-lastiger house ziemlich gut war), bei françois x bot sich wiederum das fast klassische bild der sonntagabend-peaktime, jedoch fand sich am linken rand immer noch irgendwie platz. ihm wollte ich noch eine halbe stunde einräumen, um zu hören, wie er die aufgabe bewältigt. das geschah (auch irgendwo berechenbar) mit – so nennt mensch das heute wohl – hardgroove um die 140 bpm, aber dem zuspruch auf der tanzfläche nach war das goldrichtig. ich war bereits nach 20 uhr musikalisch schon sehr gut bedient, etwas reizüberflutet und zudem hungrig. da waren 12,5 stunden schon völlig ausreichend.

meine favoriten sind eindeutig: rifts und david elimelech. liegt bei beiden daran, dass sie musikalisch den blick zurück richten und das mit zeitgemäßen, nicht zu stereotypen tracks koppeln können. bei rifts birmingham, chicago und detroit, bei david elimelech schöne, rauhe chicago-sounds, gerne mit italo-disco kontrastiert. funktionierte super, was mensch auch an der fülle in der panorama bar merkte. die spielzeit von rifts lag wiederum beim publikums-schichtwechsel, daher war die tanzfläche nie überfüllt – für mich perfekte bedingungen.

quiet husband hatte seine berghain-premiere, da kann also einiges an nervosität im spiel sein. stilistisch hatte das was: schnelleres tempo um die 140 bpm, minimalere tracks mit viel volumen im subbass-bereich. nur hätten die tracks an sich das rohmaterial für ineinandergreifendes mixing hergegeben bzw. sich gut ergänzt. stattdessen kam es mir über weite strecken so vor, als ob er eher auf sicherheit mixt und den laufenden track enden lässt, während beim nächsten noch der aufbau läuft. das nahm den druck für mich häufig ziemlich abrupt raus und wirkte auf mich so, als ob das arrangement der einzelnen tracks das set wieder aufbauen müsste.
mari sakurai war in puncto set-kohärenz (neudeutsch: „flow“) wesentlich besser, aber stilistisch nicht mein fall. bzw. außer melodischen, fast trance-artigen tracks, die sich mit tribal-techno abwechselten, ist bei mir wenig hängengeblieben.

die panorama bar hingegen durchgängig stabil. mandel zog gegen rifts für mich leider den kürzeren, aber wenn ich mal oben war, fand ich’s gut. jedenfalls mit der art von vocal-house, mit der ich was anfangen kann. mike starr fing mich mit gut ausgesuchtem house auf, wenn ich von quiet husband gewechselt bin.

notierte tracks

rifts
gunjack – ratsel box
inigo kennedy – mercurial plains
norman nodge – nn 8.0
quadrant – infinition
dave clarke – wisdom to the wise (robert hood remix)
d-saw – track 10:30
ben klock feat elif biçer – goodly sin (robert hood remix)
moteka – no borders
teste – the wipe
robert hood – omega (end times)
innersound aka the advent – outcast
dj funk – fear the world (usa hard mix)
technasia – force (direkt danach)
surgeon – floorshow pt. 1 – 2
fred to the midwest – jump 1
missing channel – the edge of infinity (schlusstrack)

mandel
the backroom congregation – sunday morning (main mix)
madvilla – thirsty

quiet husband
nobel cortex – echo
d. dan – shred

david elimelech
hannah holland – she’s giving cray (feat. joy joseph)
dj pierre – fire drill (fire drill mix)
shunji moriwaki – action (drums mix)
hugh bullen – alisand (dub version)

mari sakurai
gene richards jr – dance your last dance

[berlin / 14.03.2025] neue zukunft: rauchen / new others / restless

die zukunft am ostkreuz musste aufgrund dringend benötigter büroflächen umziehen und befindet sich jetzt in unmittelbarer nachbarschaft zur renate. rauchen gehören für mich zu den besten punk-bands der letzten jahre hierzulande und haben ihre live-qualitäten in der datscha auf der fusion vor zwei jahren deutlich unter beweis gestellt. die anderen beiden bands sagen mir nichts, daher lerne ich sie einfach vor ort kennen.

einlass: 20 uhr
start: 21 uhr

tickets

[berlin / 08.03.2025] about blank: staub

kann aufgrund des zu erwartenden wetters fast als inoffizielle garteneröffnung gelten, wobei dieser nicht bespielt wird. aber dafür sicher von denjenigen bevölkert, die ihre vitamin-d-reserven auffüllen müssen.

ablauf

mdf
12:00 sabine hoffmann
15:00 kimmy msto
18:00 overland
20:00 ryba

zelt
14:00 rosarakete
17:00 pilar jordan
20:00 myles serge

nachbetrachtung

ich lag mit meiner vermutung richtig bzw. die wurde sogar übertroffen. während mensch sieht, dass am garten noch gewerkelt wird, war dieser nachmittags ab kurz nach 15 uhr (da schlug ich jedenfalls auf) schon sehr gut bevölkert. bei einem kurzen durchgang durch’s zelt festgestellt, dass die tanzfläche dort zugleich auch ordentlich gefüllt ist. insgesamt habe ich dort vielleicht 20 minuten zugebracht, 18 davon sitzend. dadurch leider den schwenk von myles serge von house zu techno verpasst. passiert.

ab 17 uhr war ich etwas lichtscheu und tauchte auf dem mdf ab. lag aber daran, dass kimmy sehr gut (zackiges, nicht zu schnelles tempo, fordernd und funky zugleich) und overland hervorragend waren. letztere im tempo eher zurückgenommen mit fordernden akzenten, stellenweise sogar gar trancig, breakbeat-sprenksel hier und da – behielt stets die kontrolle über die dramaturgie und mixte so nahtlos ineinander, dass das für mich als anschauungsmaterial für richtig, richtig gute techno-sets steht.
ryba ab 20 uhr mit vinyl um die 140 bpm unterwegs, sehr funktional, brauchte für meine begriffe ein wenig, um ins set zu finden. und dann war’s mir zu voll, um mich mit den umständen zu arrangieren. ja, richtig gelesen: zu voll. womit ich bei den übertroffenen vermutungen wäre, die ich explizit nicht als gemecker verstanden wissen möchte: reichte die schlange bei meiner ankunft schon bis zum tor rechts neben dem blank, war sie drei stunden später bis in die kurve. ein zustand, der mich für den club sowie die staub gleichermaßen freut – für mich selbst bedeutete das einfach nur, mich bis zum ende lieber mit anderen zu unterhalten.

ein vielversprechender vorsaisonstart also. auch drinnen ist was passiert: bereits im februar fielen mir die neuen sitzgelegenheiten bei den toiletten neben der lobby auf, jetzt sind auch die toiletten oben renoviert. ganz hinten rechts gibt’s nur noch kabinen, vier an der zahl. dafür bei dem vorher inoffiziellen damenklo zwei kabinen weniger, jedoch pissoirs an der rechten seite. mal schauen, ob das die publikumsströme entschärft oder sich mit dem zugang zum backstage geradezu am ende des ganges beißt.
und am wichtigsten: auf dem mdf hängen jetzt drei veritable strobos an der decke.

notierte tracks

kimmy msto
paez – dureza
quelza – melting cards

overland
oisel – sisma
dj shufflemaster – experience
zisko – the wolfpack ceremony
hyden – rhun (jks remix)
blenk – outline
dold – title 5

myles serge
last session – sometimes i feel like

ryba
underworld – two months off (schlusstrack)
aril brikha – berghain (bonustrack nach dem schluss)

[berlin / 06.03.2025] columbiahalle: antilopen gang – alles muss repariert werden tour 2025

das hat sich jetzt spontan ergeben. ist der zusatztermin, an dem auch zugleich der 40. geburtstag von panik panzer begangen wird. kann also was werden mit überraschungsgästen. freue mich sehr auf die live-umsetzung der punk-stücke ihres letzten albums.

nachbetrachtung

gegen 19:30 uhr war auf der empore noch in dritter reihe platz, start zum ende der tagesschau mit panik panzers erstem und einzigen soloprogramm, das er ausschließlich mit eigenkompositionen bestritt. dabei ist „der zyklop ist vom aussterben bedroht“ als hardcore-techno mit dadaistischen vocals (dj hornhaut lässt grüßen) sowie „aal“ vom betourten album in erinnerung. hoffentlich hat er jetzt wieder einigermaßen platz im bücherregal, nachdem er gelesene biographien ans publikum verschenkt hat. jenny sharp (später beim antilopen-part auch am sampler sowie scratchend) sowie juse ju als gäste.

die antilopen gang selbst spielte gut zwei stunden. da kam „patientenkollektiv“ vielleicht etwas früh, es mag aber auch meiner stimmung bzw. meinem standort geschuldet sein, wonach ich den eindruck hatte, dass das publikum zeit zum warmwerden braucht. oder es liegt am umbruch: die anhänger*innenschaft der antilopen gang wächst – es ist die größte tour, die sie nach jetzt 16 jahren bandgeschichte gespielt haben. und diese zu einem album, mit dem sie sich stilistisch geöffnet haben – zur hälfte hip-hop, zur hälfte punk, gerade letzteres steht ihnen für meine begriffe sehr gut. außerdem ist das album das erste, welches auf danger dans sehr erfolgreiche solopfade folgt. führt zu einer interessanten publikumsmischung, wonach von 7 bis 67 alles dabei ist. gerade in anbetracht der politischen wetterlage freut’s mich ungemein, wenn sich sympathische acts klar antifaschistisch positionieren, das auch noch mit guter musik verpacken und damit zuspruch bekommen.

die setlist war demnach auch klar von „alles muss repariert werden“ geprägt. zugegeben: das einzige album, das ich von ihnen besitze, den rest muss ich mir noch anhören. aber in den populäreren neuveröffentlichungen war es für mich letztes jahr ein lichtblick. „nichts für immer“ kam zu beginn, „muttertag“ wie das „patientenkollektiv“ für mich einen tick zu früh. hätte vielleicht nach „american fitness am hermannplatz“ besser gepasst, wovor danger dan die challenge ausgerufen hatte, dass die berliner ihren status als „lappen“ nur dann verlieren, wenn 50 crowdsurfer*innen vorne ankommen. die vorgabe wurde zwar nicht ganz erreicht, aber locker zweistellig war deren anzahl in den drei minuten dann doch.
„weg von hier“ kam überraschend gut, „pizza“ in punkrock-version ebenfalls, und auf den „presslufthammer“ ist verlass. danger dan begleitete am keyboard, was besonders bei „für wenige“ richtig gut war. die zugabe im kleinbus (als motiv aus dem video zu „sympathie für meine hater“ bekannt) und damit so publikumsnah wie möglich zu beginnen – ein weiterer sympathiepluspunkt.

ich wäre jedenfalls wieder dabei. mit dem hip-hop-gestus werde ich in diesem leben zwar nicht mehr warm, aber wenn das weiterhin mit so bodenständigem punk fusioniert, geht das für mich mehr als klar. auf ihre weitere entwicklung bin ich jedenfalls gespannt und drücke ihnen die daumen, dass sie feine sahne fischfilet dicht auf den fersen sein werden.

r.i.p. dj funk

vor ein paar tagen machte diese gofundme-kampagne zur finanzierung seiner beerdigung die runde. da war er noch am leben, jedoch mit krebs in stadium 4. gestern abend wurde bestätigt, dass er daran mit 54 jahren verstorben ist.

für mich ist er essentieller bestandteil des chicago-kanons. auch wenn die dortigen protagonisten ihre musik konsequent als house verstanden wissen wollen: er hat maßgeblich dazu beigetragen, den sound noch weiter auf essentielle bestandteile zu reduzieren und durch ziemlich explizite sexiness zu ergänzen. alles zutaten, mit denen seine tracks sehr anschlussfähig an techno bleiben und die grundlage für booty, ghettotech sowie footwork bilden – oder wie auch immer mensch das jetzt alles nennen möchte.

nicht weniger als ein wegbereiter und eine säule der legende, die dance mania ausmacht. auch wenn das nur ein schwacher trost ist: sowas bleibt.

r.i.p.