ein update in einer völlig unerwarteten kategorie, aber das thema „raf“ ist seit jahrzehnten interessant und heikel zugleich. die zweiteilige dokumentation von stefan aust, die letztes jahr in der ard zum 30-jährigen „jubiläum“ des deutschen herbstes lief, brachte das thema zurück in mein bewusstsein, wobei ich eine gewisse faszination aufgrund diverser ungeklärter tatsachen nicht leugnen will. daher war es nur konsequent, das buch zu lesen, auf dem die dokumentation und jetzt auch der spielfilm basieren. der film war damals schon angekündigt. natürlich klar, dass ein kinobesuch daher zur pflicht wurde.
soviel zur vorrede.
inhalt
zu (achtung, wortwitz) komplex, um ihn hier in ganzer breite darlegen zu können. dafür sind die geschehnisse zu umfangreich.
der film startet im juni 1967 beim familienurlaub des ehepaares röhl/meinhof auf sylt. zu dem zeitpunkt machte sich ulrike meinhof als journalistin bei „konkret“ einen namen. der besuch des schahs in berlin mitsamt protesten, die in der erschießung von benno ohnesorg gipfelten, führt zur radikalisierung der studenten, nicht nur in der brd. attentat auf rudi dutschke, anschließend paralysierte studentenbewegung, zeichen müssen gesetzt werden. das übernimmt das duo baader/ensslin, die mit der brandstiftung in einem kaufhaus die perversion des kapitalismus anprangern, während in vietnam ganze dörfer ausradiert werden.
es folgen verhaftung und prozess mit revision, die aber abgelehnt wird. flucht quer durch europa (paris, rom), unterschlupf bei ulrike meinhof, die sich mittlerweile von ihrem mann getrennt hat und mit peter homann in berlin lebt. baader wird bei einer verkehrskontrolle erwischt, kommt in haft. die befreiungsaktion gilt als geburtsstunde der raf.
der rest im absoluten zeitraffer: ausbildung in jordanien, banküberfälle, um wohnungen, autos, waffen, herstellung von bomben finanzieren zu können. anschläge auf us-militärstützpunkte mit toten und verletzten, ein anschlag auf das verlagshaus von axel springer in hamburg. fahndungsplakate werden gedruckt, nach und nach gehen der polizei mehr raf-mitglieder ins netz – bis auf die führungsriege, die nach der erschießung von petra schelm noch radikaler agiert. baader, meins und raspe werden in frankfurt gestellt, ulrike meinhof in hannover, gudrun ensslin in einer hamburger boutique. meinhof kommt in mehrmonatige isolationshaft und meins im zuge eines hungerstreiks zum tode. zusammenlegung der treibenden kräfte in stammheim, die zweite generation startet eine blutige geiselnahme in der deutschen botschaft in stockholm. es folgt der stammheim-prozess, der die hilflosigkeit des staates offenbart, isolation von ulrike meinhof innerhalb der gruppe, was in ihrem selbstmord gipfelt. brigitte mohnhaupt wird in ihrer zeit in stammheim zur führungsperson aufgebaut, organisiert zusammen mit der zweiten generation der raf die freilassung der in stammheim inhaftierten. landshut-entführung, von der gsg-9 beendet, plan demzufolge missglückt, selbstmorde von baader, ensslin und raspe, nur irmgard möller überlebt.
ende des filmes: die zweite generation sitzt in bagdad und erfährt von den selbstmorden, allgemeines entsetzen, dass der staat mit den hinrichtungen ernst gemacht hätte. brigitte mohnhaupt, die auch den schmuggel der waffen nach stammheim organisierte, kontert damit, dass sie über ihr schicksal bis zum schluss selbst bestimmt hätten. der letzte satz des filmes ist zugleich der schlüsselsatz, der auf dem spiegel-titel kolportiert worden ist: „hört auf, sie so zu sehen, wie sie nie waren.“
umsetzung
vorlage und beratung durch stefan aust, bernd eichinger als produzent, uli edel als regisseur, hochkarätige besetzung. da kann eigentlich nicht viel schiefgehen.
gleich vorweggenommen: es geht nicht komplett daneben. die zeit habe ich bewusst nicht miterlebt, kann also nicht ermessen, wie bspw. die komplette kontrolle des straßenverkehrs der brd an einem tag oder die rasterfahndung das gesellschaftliche klima beeinflusst haben. auch die polizeiliche brutalität, die holger meins nach seiner verhaftung erfahren hat, kam meines wissens nach nicht im buch vor. ohne gewähr, kann ich auch vergessen haben.
zunächst zur besetzung, und damit auch zur stärke des films. moritz bleibtreu ist andreas baader nicht nur äußerlich ähnlich, auch die macho-attitüde, die er im realen leben gehegt und gepflegt zu haben scheint, verkörpert er sehr gut. martina gedeck hat die rolle der ulrike meinhof quasi verinnerlicht, johanna wokalek gibt als gudrun ensslin ebenfalls ein gutes bild ab. bruno ganz als bka-chef horst herold in gewohnter klasse, nadja uhl als eiskalte brigitte mohnhaupt ebenfalls gut besetzt, aber den richter prinzing in stammheim hatte ich eher schlanker und schleyer etwas gefasster in erinnerung.
den zuschauer erwartet ein 120-minütiger parforceritt durch zehn jahre hoch spannender zeitgeschichte. langweilig wird es keine einzige sekunde, nur muss man sich dazu gut vorbereiten. jemand, der mit wenig hintergrundwissen in den film geht, wird schwierigkeiten haben, nach einer stunde dem film zu folgen. ich hatte es bspw. nicht mehr präsent, dass peter homann gemeinsam mit ulrike meinhof in berlin wohnte, und überlegte daher, wen jan josef liefers eigentlich darstellt. das dämmerte mir erst bei dem eklat im jordanischen terroristen-camp, wo er von der raf als verräter gebrandmarkt wurde und daher erschossen werden sollte.
auch schön und gut, dass man die trennung ulrike meinhofs von röhl anreißt, weil damit immerhin der grund für ihren umzug nach berlin geklärt ist. die radikalen positionen von gudrun ensslin traten bereits gegenüber ihren eltern zutage, aber von ihrer umsiedelung nach berlin sieht man nichts. andreas baader taucht quasi aus dem nichts auf, wäre also noch ganz nett gewesen, innerhalb von drei bis vier minuten zu zeigen, wie die beiden zusammengefunden haben. nicht um der romantik willen, sondern um zu verdeutlichen, dass die initiative der gewalttätigen aktionen eher von den beiden ausging und ulrike meinhof das theoretische fundament lieferte (wobei das tatsächlich betont wird).
spätestens nach der rückkehr aus jordanien wird’s für den zuschauer, der das buch vorher nicht gelesen hat, heikel. ständig sind die verschiedenen mitglieder auf der flucht und tauchen in verschiedenen städten unter. man kriegt mit, wie baader, meins und raspe gestellt werden, wenn man aber nicht weiß, dass das ganze in frankfurt / main stattfand, fragt man sich, wo der rest ist. ulrike meinhof wird in hannover gestellt, der umstand, dass ihre identität aber erst nach einem röntgenbild festgestellt werden konnte (operativer eingriff wegen eines blutschwammes im gehirn anno 1962), bleibt – ebenso wie die nennung der stadt – außen vor.
in stammheim kommt das psychodrama zwischen ulrike meinhof und dem rest der gruppe gut zur geltung, auch wie die gruppe quasi unbehelligt weiter operieren konnte, ist gut ersichtlich. wenn aber schon geständnisse vorliegen, dass man in stammheim gespräche zwischen anwälten und mandanten abgehört hat, hätte man wenigstens das verwerten können. man erfährt auch vom kommunikationssystem, das die gefangenen sich untereinander aufgebaut hatten, aber auch das ist auf einmal wie selbstverständlich vorhanden, ohne dass darauf eingegangen wird, dass bspw. raspe sich literatur über fernmeldetechnik bestellt hat. die ganzen theorien, ob man im zuge der sog. „sondermaßnahme“, also die vermeintliche abhöraktion des kontaktes der gefangenen untereinander, auch die verabredung zum selbstmord mitverfolgt hat, hätten gar nicht mal berücksichtigt werden müssen.
der entführung von schleyer und der „landshut“ inkl. den begleitumständen wird vielleicht eine viertelstunde eingeräumt. schon gut zu wissen, was im bka damals vor sich ging, das kanzleramt unter helmut schmidt stand allerdings ebenfalls unter einem immensen druck. schmidt kommt selbst lediglich im zuge einer fernsehansprache zu wort, aber welche szenarien diskutiert worden sind, bzw. welch eine angespannte atmosphäre in bonn herrschte, ist absolut nicht ersichtlich.
damit ist hoffentlich klar, was die schwachstelle des filmes ist: es ist einfach zu viel material, was in zweieinhalb stunden nicht untergebracht werden kann. die generation junger kinogänger (nebenbei bemerkt hat der film eine fsk-12-freigabe – angesichts der diversen kopfschüsse und dem massaker bei der schleyer-entführung ist das schon recht großzügig) wird an der „wir machen’s einfach“-attitüde baaders mit allen konsequenzen ihren spaß haben. revolution, waffen, sex, nicht zuviel theorie, viele explosionen, viele schusswechsel – das alles sorgt für ein kurzweiliges kinoerlebnis, in dem manch wichtige aspekte unter den tisch fallen können. am ende weiß der unvorbereitete zuschauer vor lauter schauplätzen nicht mehr, wo ihm der kopf steht und sieht die ereignisse des deutschen herbstes eher an sich vorbeiziehen. der vorbereitete kriegt einen eindruck von der brutalität, mit der auf beiden seiten vorgegangen wurde, ist aber die ganze zeit am abgleich der geschehnisse, die aust in seinem buch darlegt. manches wird im zeitraffer erledigt und kommt dafür zu kurz, manches wird aber auch überbetont. dennoch besteht die gefahr, den film als action-spektakel mit terroristischer hintergrundhandlung wahrzunehmen. ob er bei der jungen generation das interesse am buch zu wecken vermag, kann man nur hoffen. darin wird auch eine menge stoff behandelt, aber der film lässt sich durch die vorkenntnisse wesentlich besser strukturieren.
für das nächste jahr ist eine verlängerte tv-version angekündigt. ich will stark hoffen, dass sich dort die zeit für mehr tiefgang an der einen oder anderen stelle findet. die schauspielerischen leistungen geben allemal viel her, so dass man mit einer verlängerung auf (minimum) drei stunden spieldauer gut beraten wäre. bis dahin ist man mit der zweiteiligen aust-doku vom letzten jahr (meinetwegen auch als vorbereitung, wenn man keine 600 seiten lesen möchte) besser bedient.
sehr gute rezension des filmes…
fsk-12 denke ich mal aufgrund der historischen vorlage…
schindlers liste war ja auch nicht ohne, aber ich kann mich erinnern, dass es damals dazu eine diskussion gegeben hat und man von seiten der fsk eben so argumentiert hat.
man muss den rackern natürlich klarmachen, das es sich nicht um fiktive action handelt!