im wintersemester 2001/02 habe ich ein seminar zu den modellen sozialer grundsicherung in europa besucht und dort das erste mal von der idee gehört, jedem volljährigen bürger monatlich einen betrag zur verfügung zu stellen, der jedem eine menschenwürdige existenz ermöglicht, ohne eine bedürftigkeitsprüfung über sich ergehen lassen, im klartext: gegenüber dem arbeitsamt rechenschaft ablegen zu müssen, wieviele bewerbungen man in der letzten zeit denn verschickt hat oder mit wievielen leuten man in welchem verhältnis in was für einer wohnung lebt.
eine an sich nicht ganz weit hergeholte idee – die utopie der vollbeschäftigung kann mit dem aus den 1950er- und 1960er-jahren bekannten vollzeitarbeitsmodell nicht mehr erreicht werden. dazu ist die industrielle produktion zu weit automatisiert und dabei produktiver als menschliche arbeitskraft. das haben wir uns als förderer des technischen fortschritts selbst eingebrockt, und anstelle angesichts dieser entwicklung in tränen auszubrechen, sollte man sich dieser realität besser stellen. mag für viele ein großer brocken sein, den es zu schlucken gilt, aber wenn sich selbst die gewählte demokratische elite hierzulande im glauben wiegt, den seit jahren kränkelnden arbeitsmarkt dank hartz-4-gängelung mit der peitsche irgendwie hinzubiegen, es dabei aber versäumt, a) das stigma der teilzeitarbeit sukzessive abzubauen, und b) überhaupt die entstehung von teilzeitarbeitsplätzen zu fördern, sollte man frühzeitig reinen wein einschenken und darauf verweisen, dass teilzeit-arbeitsmodelle bei nachbarländern wie den niederlanden oder dänemark zu beachtlichen erfolgen geführt haben. klar, dass dies weniger im industriellen, sondern im dienstleistungssektor geschieht, aber dieser umbruch findet eh seit mindestens zwei jahrzehnten statt, nur müssen einige sich erstmal daran gewöhnen.
die liste der prominenten befürworter des „basic income“ wächst daher auch stetig – einer von ihnen ist georg werner, gründer von dm (dem drogeriemarkt), der seitdem auch nicht müde wird, dafür die werbetrommel zu rühren. umso schöner, dass die zeit die courage beweist, und das thema auf die titelseite hievt. dabei werden positive und negative aspekte der finanzierung und der motivation der bevölkerung, überhaupt eine arbeit anzunehmen, beleuchtet, was dem artikel mindestens das prädikat „lesenswert“ einbringt.
ich spreche wohl nicht für mich alleine, wenn ich behaupte, dass unzähligen studenten, auszubildenden oder auch angehenden rentnern bei einführung des modells eine unglaubliche last von den schultern genommen würde. sicher werden es einige zum anlass nehmen, sich in der sozialen hängematte auszuruhen, aber ich für meinen teil würde zusehen, alleine schon zur erhaltung der denkfähigkeit und zur selbstzufriedenheit irgendetwas produktives in meiner staatlich finanzierten freizeit in angriff zu nehmen. anderen bleiben dadurch vielerlei wege zum ausleben persönlicher interessen offen, was aber immerhin schon seit geraumer zeit durch den „aufschwung durch bildung“-slogan propagiert wird. man darf gespannt sein.
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und als bonus noch die seite des basic income earth network (anno 2001 stand das e noch für „european“): klick
Klasse Text erstmal, gut formuliert 🙂
Das Problem, dass nicht mehr alle Menschen Arbeit finden, die Arbeiten wollen, sollte aber nicht nur unter dem Aspekt der Möglichkeit für Teilzeitarbeit beleuchtet werden. Von der Arbeit der Mehrheit der Bevölkerung hängt schließlich unser gesamtes soziales Sicherungssystem ab. Neben Arbeitslosengeldern werden daraus auch die Renten vieler Millionen Menschen finanziert. Das funktioniert jedoch nur, wenn ausreichend (junge) Menschen Vollzeit beschäftigt sind. Angesichts der demographischen Entwicklung und der von dir beschriebenen Situation auf dem Arbeitsmarkt ist der Zusammenbruch des Systems somit nur eine Frage der Zeit.
Ein Systemwechsel wird damit zwingend. Und was gäbe es besseres als ein Grundeinkommen, das ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, ohne sich von Staat und Ämtern gängeln lassen zu müssen?
Was, wie ich finde, immer wieder in der Diskussion um die dann möglicherweise fehlende Motivation zu Arbeiten vergessen wird (vielleicht steht es ja in der Zeit, hatte bisher keine Gelegenheit, mir die Artikel anzusehen – sch* Prüfungen), ist die Antwort auf die Frage, warum heute schon Menschen 50 Stunden und mehr schuften. Der Grund ist meiner Ansicht klar: Ehrgeiz. Man will besser sein als der Nachbar. Einen größeren Fernseher haben, einen dickeren Benz vor der Haustür etc. Warum sollte all das in Zukunft nicht mehr gegeben sein? Ein Grundeinkommen würde an diesem Streben zahlreicher Menschen nach Erfolg nichts ändern. Und es wird auch mit einem Grundeinkommen Busfahrer und Putzfrauen geben, einfach deshalb, weil die Menschen was tun wollen. Der Unterschied zu heute wäre, dass die Arbeitnehmer wieder die Macht über das Gehalt hätten, Arbeit würde wieder zu einem wertvollen Gut werden. Denn nur, wenn die Menschen nicht gezwungen sind, jede Arbeit anzunehmen, sind Arbeitgeber bereit, Tätigkeiten ihrem Wert gemäß zu entlohnen.
Auf der anderen Seite würde vielleicht tatsächlich Bildung von mehr Menschen genossen werden können, weil es endlich finanzierbar ist, den ganzen Tag zu lernen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin auch dafür 🙂
passend zum thema ein artikel aus dem tagesspiegel:
zu schwach für hilfe
nun auch im gastkommentar beim spiegel:
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